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Kundgebung der freien Wohlfahrtspflege vor dem Landtag

Tausende Menschen demonstrieren für ein soziales NRW

Mindestens 20.000 Menschen aus ganz Nordrhein-Westfalen haben am Donnerstag lautstark vor dem Landtag in Düsseldorf für die Rettung der sozialen Infrastruktur in NRW protestiert.

Die zentrale Kundgebung ist der Auftakt der Kampagne „NRW bleib sozial!“, die von der Freien Wohlfahrtspflege NRW getragen wird. Über 140 Organisationen unterstützen die Initiative. Auch aus dem Verbandsgebiet der Diakonie RWL sind weit mehr als tausend Mitglieder nach Düsseldorf gekommen.

„Ich bin eure Zukunft“ steht auf dem Schild, das Kolja mit beiden Händen in die Höhe reckt. Gemeinsam mit seiner Mutter ist der Siebenjährige zur Kundgebung auf die Wiese vor dem NRW-Landtag in Düsseldorf gekommen. Dort ist am Donnerstag symbolisch um fünf Minuten vor Zwölf die zentrale Auftakt-Kundgebung der Kampagne „NRW bleib sozial!“ mit einem lauten Pfeifkonzert und Jubel gestartet.

Koljas Mutter erklärt, warum sie nicht gezögert hat, sich einen Tag Urlaub zu nehmen, um mit ihrem Kind an der Demo teilzunehmen: „Was das Personal im sozialen Sektor leistet, ist gar nicht hoch genug zu schätzen. Aber Qualität hat ihren Preis, deshalb darf nicht genau dort Geld gekürzt werden.“

Mehr als 20.000 Teilnehmer

Rund 140 Organisationen aus ganz Nordrhein-Westfalen unterstützen die von der Freien Wohlfahrtspflege NRW getragene Initiative zur Rettung der sozialen Infrastruktur im Land. Weit mehr als 20.000 Mitarbeitende und Ehrenamtliche der verschiedenen Träger aus allen Bereichen wie etwa Betreuung, Pflege und Beratung haben das am Donnerstag auch laut gezeigt, teils begleitet von ihren zahlreichen jungen und erwachsenen Klient*innen. Mit rund 5.000 Teilnehmenden hatten die Veranstalter gerechnet. Dass es schließlich laut Veranstalter rund 25.000 waren, zeigt, wie sehr das Thema „Kürzungen im Sozialen“ die Menschen bewegt. 

„Wir sind von der unglaublichen Resonanz heute überwältigt“, sagt Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie RWL, die ihrerseits mit weit mehr als tausend Mitgliedern der verschiedenen Diakonischen Werke bei der Demo dabei war. Heine-Göttelmann weiter: „Unser Dank als diakonischer Landesverband geht an alle, die zum Teil weite Wege zum NRW-Landtag auf sich genommen haben, um unsere soziale Infrastruktur am Leben zu erhalten. Es muss sich jetzt etwas bewegen, wir brauchen mehr Geld im System für Kitas, Offene Ganztagsschulen und andere soziale Einrichtungen. Wenn die Politik sagt, das Geld reiche nicht, dann kann es nicht sein, dass unser Sozialstaat an der Schuldenbremse zerbricht – dann dürfen wir uns nicht weiterhin an eine schwarze Null klammern.“ 

„So wie jetzt kann es nicht weitergehen“, betont auch Dr. Marcel Fischell, Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks im Kirchenkreis Duisburg und Vorsitzender des Evangelischen Fachverbands für die Offene Ganztagsschule (OGS). Er ist mit mehr als 200 Mitarbeitenden aus 18 OGS in Duisburg und Moers zur Kundgebung gekommen. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Beschäftigten können unter diesen Bedingungen nicht mehr als eine Betreuung der Kinder leisten und keine Bildung. Das wissen die Eltern, und das wissen die Lehrkräfte.“ Er warnt davor, dass eine über Jahrzehnte aufgebaute und bewährte Infrastruktur verloren geht. 

Soziales NRW "von gesamtgesellschaftlichem Interesse"

Umso wichtiger sei „dieses starke und klare Signal, das die Kundgebung heute setzt“, sagt Tim Rietzke, Leiter Geschäftsfeld Familie und junge Menschen bei der Diakonie RWL, zu dem auch die OGS gehören. „Ich freue mich, dass das Betreuungsthema hier im Vordergrund steht. Aber unsere Botschaft muss sein, dass der soziale Sektor insgesamt mit all seinen Feldern gestärkt und auskömmlich finanziert werden muss.“ Wenn der Haushalt der Landesregierung im nächsten Jahr nicht mehr in den Sozialbereich investiere, hätten nicht nur Kitas und OGS existenzielle Probleme. Auch Einrichtungen und Beratungsstellen aus der Familien- und Jugendhilfe sowie der Pflege, Eingliederungshilfe, Migrationshilfe, Freiwilligendienste, Schuldnerberatung und Wohnungslosenhilfe müssten Angebote kürzen oder ganz streichen und Personal abbauen. „Es ist ein Dauer-Notstand. Und weit mehr als 20.000 Teilnehmende heute zeigen, dass ein soziales NRW von gesamtgesellschaftlichem Interesse ist“, ergänzt Sabine Prott, die bei der Diakonie RWL das Geschäftsfeld Tageseinrichtungen für Kinder leitet. 

„Seit Jahren machen wir auf die Krise im Sozialen aufmerksam, aber passiert ist viel zu wenig”, sagt Marita, die in einer Jugendhilfeeinrichtung in Mülheim arbeitet. Sie und auch ihre Kolleg*innen aus anderen sozialen Bereichen hätten das Gefühl, „dass die Politik uns entweder gar nicht wahrnimmt oder uns nicht ernst nimmt”. „Aber heute sind wir laut, und wir bleiben es auch”, sagt sie. Auf der Bühne vor dem Landtag nehmen während der Kundgebung auch politische Vertreter*innen Stellung zu den Forderungen nach mehr Geld. „Die Haushaltslage ist angespannt”, argumentiert etwa Verena Schäffer, Fraktionsvorsitzende der Grünen. „Die Frage ist deshalb, wo wir Prioritäten setzen. Versprechungen helfen Ihnen gar nicht, aber wir suchen Lösungen.”

Das sagt die Politik

Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Jochen Ott, unterstützt den Protest und sagt: „Die Träger sozialer Einrichtungen müssen deutlich entlastet werden und brauchen eine solide Grundfinanzierung.“ Es fordere jedoch „eine große Kraftanstrengung”, um das Problem zu lösen. Allein für die Kitas sei ein Rettungspaket in der Größenordnung von 500 Millionen Euro notwendig. 

Der familienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marcel Hafke, beschreibt die Situation so: „Die Hütte brennt. Nur wenn das Familien- und das Finanzministerium aufwachen, wird etwas passieren.” Er forderte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf, „die auskömmliche Finanzierung und den Erhalt der sozialen Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen zur Chefsache zu machen”. 

Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Thorsten Schick, nennt die Kundgebung „ein kraftvolles Signal”. Er betont, dass die Politik jedoch – etwa im Bereich der Pflege - „durchaus Stellschrauben gedreht” habe. So seien etwa an Pflegeschulen mehr Plätze geschaffen worden. Schick: „Gerade die Pflege zeigt, dass Politik nicht nur redet, sondern handelt.”

Christian Woltering, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW, sieht das anders und machte in seinem Schlusswort nochmals die Kritik und die Forderungen der Wohlfahrtsverbände an die Politik deutlich: „Wir haben genug der guten Worte. Es ist an der Zeit zu kämpfen und zu zeigen, dass wir nicht still untergehen werden. Es geht hier nicht um Sozial-Klimbin, sondern um Daseinsvorsorge.” Dafür sei eine spürbare finanzielle Verbesserung nötig und ein klares Bekenntnis zur sozialen Infrastruktur in NRW. Die Freie Wohlfahrtspflege NRW fordert politische Anerkennung und endlich spürbare finanzielle Verbesserungen. „Die soziale Infrastruktur in NRW ist auskömmlich abzusichern, sodass Arbeiten unter vernünftigen Bedingungen möglich ist”, so Woltering weiter. Sein Appell an die Politiker*innen, die zeitgleich nebenan im Landtag zur Haushaltsanhörung im Finanzausschuss tagen: „Setzt eure Prioritäten richtig und lasst euch das Sozialsystem etwas wert sein.” 

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