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Solidarität zeigen - auch in der „neuen Normalität“

Westfälische Delegation besucht Israel und Palästina

Ralf Lange-Sonntag, Nahostreferent der EKvW, und Jens Nieper, Vorsitzender des Ökumene-Unterausschusses Naher und Mittlerer Osten, sind am Mittwochmorgen (28. Mai) von einer einwöchigen Reise nach Israel und Palästina zurückgekehrt. Ziel der Reise war es, den von Krieg und Terror betroffenen Menschen vor Ort die Solidarität der westfälischen Kirche auszusprechen, ihre Sorgen und Hoffnungen wahrzunehmen und die Beziehungen zu Partnerkirchen und -organisationen zu stärken.

Die Auswirkungen des Hamas-Terroranschlags und des weiter eskalierenden Gaza-Krieges sind überall im Heiligen Land erkennbar. So berichten Lehrerinnen der deutschen Auslandsschule Talitha Kumi im palästinensischen Beit Jala von zunehmender Angst, Aggressivität und Konzentrationsmängeln in ihrer Schule. Die zunehmenden Checkpoints auf dem Weg zur Schule und die Unsicherheit, ob diese offen oder geschlossen sind, erschweren den Schulalltag.

Schülerinnen von Talitha Kumi prägen im Gespräch mit Lange-Sonntag und Nieper für diesen Zustand den Begriff der „neuen Normalität“. Die Mehrheit von ihnen sieht in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. Sie hoffen daher auf die Möglichkeit, nach dem Abitur in der westlichen Welt zu studieren und eine Anstellung zu finden, auch wenn ihnen ihre Heimat wichtig ist. Eine spätere Rückkehr auf die Westbank ist für die meisten aber zunehmend keine Option mehr.

Für Dr. Sani Ibrahim Azar, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Jordanien und dem Heiligen Land, ist die zunehmende Emigration der christlichen Familien aus Palästina eine große Herausforderung. Bildung und Diakonie sind Schwerpunkte dieser kleinen Kirche, doch angesichts einer Arbeitslosigkeit von bis zu 80 Prozent, dem Einbruch des Tourismussektors und mangelnder Karrierechancen für die jungen Menschen im Westjordanland bleibt die Kirche bei ihrer wichtigen Arbeit auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen.

Eindrückliches Treffen mit Überlebender des Terroranschlags in Israel

Auch auf israelischer Seite sind die Auswirkungen des Terroranschlags vom 7. Oktober 2023 und des Krieges allgegenwärtig. Gelbe Fahnen, das Aufstellen von leeren gelben Stühlen in Synagogen und anderen Einrichtungen sowie die Bilder von Opfern des Terroranschlags und von den weiterhin im Gaza-Streifen festgehaltenen Geiseln bestimmen das Stadtbild der israelischen Städte und mahnen die Verantwortlichen: „Bring them home!“

Besonders eindrücklich ist das Treffen mit einer Überlebenden des Anschlags aus dem Kibbuz Re’im. Ohne Verbitterung erzählt Varda von dem schlimmsten Tag ihres Lebens, was sie sichtlich aufwühlt. Nachdem die Überlebenden des Kibbuz zunächst in Hotels in Eilat am Roten Meer untergebracht wurden, wohnen sie nun in zwei Hochhäusern inmitten von Tel Aviv und stärken sich gegenseitig in ihrer Trauer. Bitterkeit klingt bei Varda nur an, als sie von dem Gutachten spricht, das die Vorkommnisse des 7. Oktobers durchleuchten soll. Der Kibbuz hat dies selbst in Auftrag gegeben, denn die Regierung des Landes scheint an einer Aufarbeitung kein Interesse zu haben. Im nächsten Monat wird die Mehrheit der Kibbuzniks wieder zurück in ihren Heimatort ziehen können.

Ein anderes Israel erleben Lange-Sonntag und Nieper am Jerusalem-Tag, einem Feiertag, der an die Eroberung Jerusalems im Jahr 1967 und den dadurch ermöglichten Zugang zur Klagemauer erinnert. Die Straßen Jerusalems sind voll von national-religiösen Jüdinnen und Juden, darunter viele Schülerinnen und Schüler, die aus dem gesamten Land kommen. Der Demonstrationszug führt auch durch das muslimische Viertel der Jerusalem Altstadt – eine Provokation für die dortige palästinensische Bevölkerung. Es gibt Berichte und Bilder von gewaltsamen Übergriffen gegen Araber und deren Geschäfte. Erschreckend ist auch, wie viele Menschen auf dem Jerusalemtag die Errichtung des dritten Tempels fordern. Dass die dafür notwendige Zerstörung des Felsendoms und der Al-Aksa-Moschee, dem drittheiligsten Ort des Islams, einen Weltkrieg entfesseln könnte, wird anscheinend nicht weiter reflektiert.

Hoffnungsvolle Beispiele friedlichen Zusammenlebens

Die Delegation der EKvW traf sich außerdem mit dem Leiter des Vertretungsbüros der Bundesrepublik Deutschland in den palästinensischen Autonomiegebieten, Oliver Owcza, mit den Pfarrerinnen und dem Propst der deutschsprachigen evangelischen Erlöser-Gemeinde in Jerusalem und diversen Nichtregierungsorganisationen, die sich für Menschenrechte und für eine Begegnung von Palästinensern und Juden einsetzen.

Dass ein Zusammenleben von arabischen und jüdischen Israelis möglich ist, zeigten zum Beispiel der palästinensische Christ John und der orthodoxe Jude Ruben vom Rossing Center für Education and Dialogue in Jerusalem oder die Verantwortlichen des Leo-Baeck-Education-Centers in Haifa, deren jüdisch-arabisches Summercamp von der EKvW finanziell unterstützt wird. Viele Nichtregierungsorganisationen berichten jedoch auch davon, dass versucht wird, ihren Handlungsspielraum immer weiter einzuengen. So versucht die rechts-gerichtete derzeitige Regierung Israels, alle Organisationen, die Zuschüsse von ausländischen Staaten erhalten, mit einer 80-prozentigen Steuer zu belegen. Wenn nicht nötiger Druck aus dem Ausland erfolgt, würde dieses Steuergesetz das Aus vieler Organisationen bedeuten, die sich für Verständigung und Frieden einsetzen.

So bleibt als erstes Fazit: Die Gründe, hoffnungsvoll auf das Heilige Land zu schauen, schwinden. Die Sorgen all jener in der Region, die sich für Frieden und Versöhnung, für Menschenrechte und Dialog einsetzen, wachsen. Umso dankbarer wurde der Besuch der Mini-Delegation wahrgenommen und wertgeschätzt.

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