Vizepräsident Ulf Schlüter mit ‚Präsesbericht‘ für die Synode
Abschied von einem idealisierten Selbstbild
SynodeAKTUELL Nr. 2/2024
Die erste Predigt seines Lebens, die ihm einst vom Theologischen Prüfungsamt der Landeskirche auferlegt worden sei, habe „Von den klugen und törichten Jungfrauen“ (Matthäus 25, 1-13) gehandelt, es sollte eine Predigt zum Toten- und Ewigkeitssonntag sein. 39 Jahre später legte Ulf Schlüter, der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), dieselbe Bibelstelle seinem Bericht zugrunde, den er als derzeit Leitender Geistlicher der Landessynode vortrug – einen Tag nach dem diesjährigen Ewigkeitssonntag.
„Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen“, heißt es in dem Bibeltext. „Aber fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.“ Als sie sich schließlich Öl besorgt hatten, war der Bräutigam inzwischen eingetroffen. Die Hochzeitsfeier hatte schon begonnen, die Tür war verschlossen, die törichten Jungfrauen mussten draußen bleiben. Schon damals, so Schlüter, habe er sich gefragt: „Wo ist der Trost, wo die gute Nachricht“ für die Trauernden am Totensonntag? Und er kam zu dem Schluss: „Es ist so eine Sache mit der Kommunikation des Evangeliums. Bei Gott nicht nur im Auftrag eines Prüfungsamts.“
Auch heute, angesichts multipler Krisen, dränge immer wieder die Frage nach dem Trost. Viele Menschen, so Schlüter, seien müde und mürbe geworden. Noch sitze die gerade überstandene Pandemie in den Knochen, aber es gebe keine Zeit, keine Energie aus dem Umgang damit zu lernen. Stattdessen: Kriege, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Krieg im Heiligen Land, in Israel und Palästina, in Gaza und Westbank, im Libanon – und überall kein Ende in Sicht. Die Frage nach dem Klimawandel und seinen Folgen, das Problem von Flucht und Exil – 120 Millionen Menschen seien derzeit auf der Flucht, 280 Millionen wohnten der Not folgend außerhalb ihres Heimatlandes. Und immer bleibe die Frage: „Wo bleibst Du, Trost der ganzen Welt …“
Nicht wenige Menschen suchten dieser Tage Trost bei den starken Männern, den „selbsternannten Herren dieser Welt“, so Ulf Schlüter. „Autoritäre Konzepte haben Hoch-Konjunktur“, die Demokratie sei in Gefahr. Hinzu füge sich eine tiefgreifende Wirtschaftskrise, auch die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen gerieten in immer größere Nöte mit Folgen für die soziale Infrastruktur.
Und bei all dem, so der Theologische Vizepräsident, habe man noch nicht über die Kirche gesprochen. Die Kirche habe einen Auftrag, der sich nicht verändert habe. Schlüter zitierte in dem Zusammenhang den Soziologen Hartmut Rosa: „Religion hat die Kraft, sie hat ein Ideenreservoir und ein rituelles Arsenal voller entsprechender Lieder, entsprechender Gesten, entsprechender Räume, entsprechender Traditionen und entsprechender Praktiken, die einen Sinn dafür öffnen, was es heißt, sich anrufen zu lassen, sich transformieren zu lassen, in Resonanz zu stehen.“ Alles, so Schlüter, beginne mit dem Hinhören. Schon als Kind wirkten biblische Geschichten, von Adam und Eva, von Noah und der Arche, von David und Salomo; und natürlich von Jesus, der Blinde, Taube und Lahme in Gottes Namen geheilt und mit Zöllnern und Sündern zu Tische gesessen habe, „der den Sturm stillte und die Angst wie den Teufel vertrieb.“
„Wir haben einen großen, hell glänzenden Schatz. Der durch die Zeiten leuchtet“, beschrieb Schlüter das Angebot der Kirche. „Sonst säßen wir nicht hier. Niemand von uns.“ Aber auch mit dem schönsten, klarsten Auftrag könne man sich klug oder töricht verhalten, was die eigene Organisation betrifft. Hier schloss der Vizepräsident den Kreis zur Geschichte von den klugen und den törichten Jungfrauen. Die Organisation der evangelischen Kirche insgesamt und in Westfalen im Besonderen müsse sich verändern, postulierte Schlüter. „Wir könnten, wir sollten, wir müssten bei Gott, besser, klüger organisiert sein. Wachet auf… Und keine Sorge: Ich sage das auch zu mir selbst“, so der Leitende Theologe.
Im Einzelnen nahm Schlüter in seinem Bericht Bezug auf zwei große Studien, die im zurückliegenden Jahr bundesweit vorgestellt worden waren, und die unterschiedliche Perspektiven auf die Organisation werfen. Die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) stellte den starken Rückgang der Mitgliederzahlen dar und beleuchtete eine veränderte Religiosität in der Gesellschaft. Die sogenannte ForuM-Studie beleuchtete das Problem von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in evangelischem Kontext und führte strukturelle Defizite vor Augen, die solche Gewalt begünstigten. Die Studie habe dazu beigetragen, dass das Schweigen zu diesem Problem nun gebrochen sei, sagte der Theologische Vizepräsident. „Das fordert uns enorm – aber: das alles ist gut und richtig und längst überfällig so! Oder anders: Wir haben lange genug geschlafen.“
Ulf Schlüter forderte vor der Synode, von einem idealisierten Selbstbild der evangelischen Kirche Abschied zu nehmen. „Wir neigen dazu, gern zu den Guten zu gehören“, so Schlüter. „Dabei gilt: Wir sind nicht die Guten – und werden es niemals sein.“ Die Realität von Sünde und Schuld sei mit vollem Ernst in den Blick zu nehmen und beim Namen zu nennen – „in der Hoffnung auf Gottes Gnade, aber nicht an Reue und Schuld einfach vorbei.“
Insgesamt bescheinigte der Vizepräsident seiner Landeskirche, sich in einer „multiplen Krise“ zu befinden. Sie umfasse unter anderem das Thema ‚Finanzkrise und Haushaltssicherung‘ und erfordere einen umfassenden Transformationsprozess. „Seien wir nicht töricht, seien wir klug – verändern wir uns“, appellierte Ulf Schlüter an die Mitglieder des obersten westfälischen Kirchengremiums. Vieles indes sei in Westfalen schon in Bewegung – auf allen Ebenen, und nicht erst seit gestern. Letztlich müsse sich die Arbeit immer an der Aufgabe orientieren, dass Kommunikation des Evangeliums gelingt.