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Beauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Lippischen Landeskirche bei Landtag und Landesregierung in Nordrhein-Westfalen

Neun Fragen an Rüdiger Schuch

Kirchenrat Rüdiger Schuch (51) ist seit Jahresbeginn 2020 neuer Beauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Lippischen Landeskirche bei Landtag und Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Am Dienstag (21. Januar) wurde er in Düsseldorf offiziell in sein neues Amt eingeführt. Im Interview stellt er sich und seine Visionen, seine Motivation für den beruflichen Wechsel und die Herausforderungen, denen er sich im neuen Amt stellt, vor.

1. Vom Vorstandsvorsitzenden der Evangelischen Perthes-Stiftung (Münster), einem der bundesweit großen diakonischen Unternehmen, zum Repräsentanten der drei NRW-Landeskirchen bei Landtag und Landesregierung in Nordrhein-Westfalen in ein Büro mit vier Mitarbeitenden. Was hat Sie dazu motiviert?

Die Frage nach der Zukunft der Kirche (und ihrer Diakonie) in einer zunehmend pluralen und säkularen Gesellschaft fasziniert mich seit gut 20 Jahren. Konkret: Wie kann es uns gelingen, die Liebe Gottes in Wort und Tat zeitgemäß zu verkünden? Wie kann es uns gelingen, sich als Kirche in der Gesellschaft und gegenüber der Politik verständlich zu machen und sich für gemeinsame Anliegen zu vernetzen und zu vereinbaren? Sehr gern habe ich in den vergangenen sechs Jahren einem diakonischen Unternehmen vorgestanden, das sich mit seinen 4.500 Mitarbeitenden der Aufgabe verschrieben hat, tätige Nächstenliebe in evangelischer Prägung, mit viel Leidenschaft, fachlich hoch professionell und zugleich finanziell solide zu verwirklichen.
Ich nehme wertvolle Erfahrungen mit, wie Kirche mit ihrer Diakonie segensreich in der Sozialwirtschaft wirken kann, nehme aber auch das Wissen um die besonderen Herausforderungen mit und die Hochachtung für alle, die täglich Großartiges in der Begleitung, Betreuung und Pflege leisten.
Mich reizt nun als Beauftragter der drei Landeskirchen bei Landtag und Landesregierung Politik und Kirche mit ihrer Diakonie in vielfacher Weise ins Gespräch zu bringen. Es gilt, sehr genau hinzuhören, was Politik und Verbände von der Kirche und Diakonie heute erwarten und sich auch erhoffen. Zugleich kommt es darauf an, Anliegen, Anregungen und Forderungen der Kirche gut in die Politik zu kommunizieren und dabei jeweils immer wieder neu gegenseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln. Es freut mich ungemein, dies in einem kleinen Team, allerdings bestens rückgebunden und vernetzt mit den Kirchenleitungen, den Fachdezernaten in den Landeskirchenämtern, den Ämtern und Werken und zahlreichen Bildungseinrichtungen der drei Landeskirchen sowie der Diakonie RWL und ihren verbundenen diakonischen Unternehmen tun zu können. Mit anderen Worten: Das Evangelische Büro hat viele Partner, mit denen es agiert. Diese zielgerichtete Vernetzungsarbeit in Kirche und Vermittlungstätigkeit in die Politik hinein reizt mich ungemein. 

2.   Auf welche Aspekte Ihres neuen Amtes freuen Sie sich am meisten?

Ich freue mich auf die Themenvielfalt: bildungspolitische Herausforderungen, Energiewende/Klimaschutz, Integration, Pflege, Flüchtlingspolitik, Arbeitsmarktpolitik und religionsverfassungsrechtliche Fragestellungen, um nur einige wenige zu nennen. Ebenso freue ich mich auf die regelmäßigen ökumenisch verantworteten Andachten im Landtag und meine seelsorgerliche Tätigkeit. 

3. Und vor welchen Aufgaben haben Sie besonderen Respekt?

Erlauben Sie mir, in der Antwort eine Akzentverschiebung vorzunehmen. Respekt und Achtung habe ich vor der zeitlich ungemein umfangreichen, herausfordernden und zum Teil hoch komplexen täglichen Arbeit der Mitglieder des Landtages, der Landesregierung und der Ministerien. Ich sorge mich um die politische Kultur, wenn durch populistische Agitationen und stetige verbale Entgleisungen ein Klima des politischen Kampfes hergestellt wird. Wir brauchen in der politischen Diskussion den Mut, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten, um der Sache willen offen auszutragen, zugleich sollten diese aber von Fairness und Achtung geprägt sein. 

4. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für das Land NRW in den kommenden acht Jahren?

Die enormen Veränderungsprozesse in der Gesellschaft, die Digitalisierung und umfangreiche Transformationsprozesse sorgen vielfach für Unbehagen und auch Ängste. Werde ich den Entwicklungen Stand halten können? Wo wird mein Platz in der Gesellschaft sein? Werde ich gebraucht? Welche Chancen werden sich mir bieten? Es wird entscheidend darauf ankommen, die Menschen in NRW in all den Entwicklungen mitzunehmen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen hierfür schaffen: in Bildung zu investieren, der Wirtschaft beste Voraussetzungen zu bieten, so dass im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen werden können. Es braucht Orte der Begegnung, ein neues solidarisches Miteinander und den Willen, Menschen von nah und fern zusammenzubringen. 
Eine der zentralen Herausforderungen wird zudem die Energiewende angesichts des Klimawandels sein. Es muss der Politik gelingen, ökologische Verantwortung, sozialen Ausgleich und wirtschaftliche Zukunftssicherung zusammenzubringen und auszutarieren. Bei all den Herausforderungen bietet sich die Kirche als Gesprächspartner an und agiert zusammen mit anderen gesellschaftlichen Playern als Partner. 

5. Soll sich die Kirche politisch engagieren?

Das ist für mich keine Frage, die man ernstlich mit nein beantworten könnte. Die frohe Botschaft des Evangeliums zu verkünden, ist immer auch politisch. Die biblischen Schriften zeugen von der Liebe Gottes zu Menschen. Sie gilt ausnahmslos allen Menschen. So wie uns der Zuspruch dieser Liebesbotschaft gerade auch in bedrängten Stunden zu stärken vermag, so sind wir in gleicher Weise gefordert, als Christinnen und Christen uns für eine menschengerechte Gesellschaft und eine auch für kommende Generationen lebenswerte Welt einzusetzen. Es braucht dazu auch das Wort und das politische Engagement der Kirche. Ich spreche hier nicht von Parteipolitik, sondern von der Verantwortung der Kirche vor Gott und den Menschen.

6. Vielen Kirchenmitgliedern ist das Engagement der evangelischen Kirche in Sachen Seenotrettung ein Dorn im Auge. Was sagen Sie denen?

Ich bin den Kirchenleitungen in NRW und der EKD dankbar, dass sie sich für die Rettung von Menschen auf dem Mittelmeer nicht nur mit Worten, sondern auch in der Unterstützung tatkräftiger Projekte zur Seenotrettung engagieren. Auch die öffentlich gewordene Spende von Kardinal Marx in nennenswerter Höhe für die Seenotrettung möchte ich an dieser Stelle nennen. Es ist der Kirche Jesu Christi aufgetragen, Menschen in Not beizustehen und zu retten. Das Evangelium darf nicht auf das persönliche Seelenheil verkürzt werden, es ruft uns Christinnen und Christen auf, Menschen in Not und Bedrängnis zum Nächsten zu werden. Eine Kirche, die sich vor der Not der weltweit Flüchtenden verschließt, würde nicht nur unglaubwürdig werden, sondern aufhören, Kirche zu sein. Die Kirchen in Deutschland beziehen in der Flüchtlingspolitik klar Stellung, fordern eine humanitäre gesamteuropäische Flüchtlingspolitik und bringen sich selbst vielfältig ein: vor Ort in den Gemeinden bis hin zur Seenotrettung. Ich bin erleichtert und beeindruckt, dass der Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung auch zahlreiche Kommunen in Deutschland entschieden entgegentreten, indem sie sich im Bündnis „Städte sicherer Häfen“, bereiterklären, gerettete Flüchtlinge aufzunehmen.

7. In NRW hat es beachtliche Veränderungen in der Parteienlandschaft gegeben. Auf welche denkbaren Konsequenzen für das Verhältnis von Staat und Kirche sollte man sich vorbereiten?

Nicht nur die Parteienlandschaft, sondern die Gesellschaft wandelt sich. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht vom Mitgliederschwund in den Kirchen und ihren Auswirkungen berichtet wird. Die Kirchen werden mittelfristig zu einer großen Minderheit in der deutschen Gesellschaft werden. In den neuen Bundesländern haben wir die Situation seit der Wende. Auch die Parteienlandschaft ist von Veränderungsprozessen nicht ausgenommen. Gleich wie die Gesellschaft diverser wird, so weitet sich das Spektrum der Parteien. Die alten Volksparteien kämpfen darum, die Breite der Gesellschaft weiterhin abbilden zu können. Wenn Kirche weniger selbstverständlich wird in NRW, dann stellen sich für das Verhältnis von säkularem Staat und Kirche neue Fragen, ohne dass das gute Vertrauensverhältnis beider zueinander insgesamt und das bewährte Miteinander fraglich werden muss. Daran gilt es mit Nachdruck zu arbeiten. Dafür möchte ich werben. Dazu braucht es viele Möglichkeiten, einander zu begegnen. 

8. Erwarten Sie für die Zeit Ihres neuen Amtes neben den „Dauerbrenner-Themen“ (wie etwa KiTa-Fragen) das Aufkommen neuer Schwerpunkte im Dialog von Politik und Kirche? Die alternde Gesellschaft und die Not in der Pflege sind ja keine neuen Themen. Aber sie könnten ja bald den Diskurs dominieren.

Für mich ist entscheidend, dass wir uns gesamtgesellschaftlich darauf verständigen, wie wir in NRW miteinander leben wollen. Wie kann es uns gelingen, dass Junge wie Alte, Frauen und Männer, Behinderte und Nichtbehinderte, Menschen von nah und fern wie selbstverständlich miteinander und füreinander in gegenseitiger Achtung ökologisch bewusst leben können? In dieser Fragestellung stecken so viele wichtige Themen, die ich gern zusammen mit vielen aus Kirche, Diakonie und anderen gesellschaftlichen Gruppen an die Politik herantragen und zugleich deren Antworten in die hinein Kirche vermitteln möchte.

9. Und zum Schluss: Gibt es einen Bibelvers, der Ihnen – auch mit Blick auf die neuen Herausforderungen – ganz besonders wichtig ist? 

2. Timotheus 1,7: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 
 

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Rüdiger Schuch