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Pfarrer Christian Heine-Göttelmann (Diakonie RWL) referiert zum Thema Armut

»Zwischen Wetterbesserung und Pflasterkleben«

Was nehmen wir von der wachsenden Armut wahr? Wo liegen die Ursachen? Und was können wir in Kirche und Politik dagegen tun? - Mit diesen Fragen befasste sich Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe in seinem Referat im Rahmen des Abends der Diakonie in Haus Marck (Tecklenburg).

Jedes Jahr lädt das Diakonische Werk im Kirchenkreis Tecklenburg Gäste aus Diakonie und gesellschaftlichen Gruppen ins Haus Marck ein, um sich über sozialpolitische und theologische Fragen auseinander zu setzen. Der Veranstaltungsort ist geschichtsträchtig: hier wurde Friedrich von Bodelschwingh geboren.

»In einem reichen Land wie dem unseren dürfte Armut doch eigentlich kein Thema sein« meinte Superintendent André Ost in seiner Begrüßung. »Wir nehmen trotz Weltwirtschaftskrise eine gute Konjunkturlage wahr«. Der Bundesfinanzminister halte die schwarze Null trotz der vielen sozialen Herausforderungen, etwa durch die Flüchtlingssituation. Und doch ist Armut ein Thema. In der letzten Woche wurde vermeldet, dass in NRW im Jahr 2015 jeder sechste Einwohner (16,3 %) von Einkommensarmut betroffen war.  »Armut kann uns nicht egal sein, Armutsbekämpfung ist Glaubenssache. Wenn Menschen durch zu geringes Einkommen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind, von Freizeit, Kultur und Bildung, von allem was Geld kostet, dann sind das gravierende Folgen, die beachtet werden müssen, weil sie Auswirkungen haben -  nicht nur für die Betroffenen selber, sondern für die ganze Gesellschaft« mahnte Ost.

Armut ist ein Produkt menschlichen Handelns

»Armut ist kein Schicksal« betonte Christian Heine-Göttelmann in seinem Vortrag. Oft sei in der gesellschaftlichen Debatte zu beobachten, dass Armut romantisiert und verklärt werde. Frage man jedoch Menschen, die von Armut betroffen seien, gehe es ihnen darum, mit Würde behandelt zu werden, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu haben und aus der Isolation herauszuwachsen. In diesem Zusammenhang kritisierte er, die Kirche habe ein »innerkirchliches Wahrnehmungsdefizit«. »Es tut uns gut, genauer hinzusehen«, meinte er und führte aus: »Ich möchte Sie dazu motivieren, sich gesellschaftlich zu engagieren«. In Matthäus 25 heiße es: »Es wird nicht danach gefragt, was glaubst du, sondern, was hast du getan?« Armut sei ein Produkt menschlichen Handelns: Sie sei nicht selbst verschuldet, sondern Teil des Systems. »Fakt ist auch, dass die Investitionen im Sozialbereich auf Dauer von den Kommunen nicht geleistet werden können«. Dies seien Bürden der nächsten Generationen.

Die größten Risikofaktoren, in Armut zu geraten, sei es, alleinerziehend zu sein, Erwerbslosigkeit, ein geringes Bildungsniveau zu haben oder ein Geflüchteter zu sein. Auch für Familien mit mehr als drei Kindern bestehe heute ein Armutsrisiko. »Inwieweit sind wir Teil einer Gesellschaft, die nicht nach Veränderung drängt?« fragte er die Zuhörer. In diesem Zusammenhang sei beispielsweise festzustellen, dass Suppenküchen systemrelevant geworden sind. In Wattenscheid gebe die Tafel täglich 15 Tonnen Lebensmittel an Bedürftige aus. Die Politik verlasse sich auf diese Angebote. Dies täusche über die Realitäten hinweg.

Sozialstaat stärken

Heine-Göttelmann plädierte für eine Grundsicherung und sprach sich dafür aus, den Sozialstaat nicht weiter zu reduzieren: Die Mittel müssten umverteilt werden. »Die Prävention beginnt bei den Kindern – in Regelsystemen« unterstrich er. Ein weiterer Schlüssel sei die dauerhaft öffentlich geförderte Beschäftigung und die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus. Es gehe um Lösungsorientierung statt Verfahrensorientierung. »Kirche und Diakonie haben den Auftrag, den von Armut betroffenen Menschen die Würde wiederzugeben« machte er deutlich.

»Die greifbare Armut wird uns in Lengerich bewusst, wenn wir vormittags die langen Menschenschlangen vor der Lengericher Tafel sehen«, berichtete Stefan Zimmermann, geschäftsführender Vorstand der Diakonie im Kirchenkreis Tecklenburg. Er stellte drei Arbeitsfelder vor, sie sich um Menschen kümmern, die in Armut leben: Das sind das Sozialkaufhaus des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SkF) in Ibbenbüren, das BuT-Lotsen-Projekt (Bildungs- und Teilhabeprojekt der Bundesregierung) des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Tecklenburg und der Ökumenische Verein »Salzstreuer e.V.«. Das BuT-Lotsen-Projekt betreut Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien. Der Verein »Salzstreuer« in Rheine leistet schnelle, unbürokratische und konkrete Hilfe für Menschen in Notlagen und unterstützt Ratsuchende bei Behördengängen.

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