Ausstellung zur Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses eröffnet
Leben auf der Bühne
Der Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses widmet sich die »Leben nach Luther«, die am Mittwoch (5.10.) in Bielefeld-Bethel eröffnet worden ist und zuvor im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen war.
Zum 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 ist sie nun eine spezielle Version der Ausstellung zu Gast in Bielefeld, ergänzt um Stücke aus dem Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und dem Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Am Anfang stand ein Skandal: Priester heirateten und zeugten Kinder. Luther und andere machten es vor. Damit begann die wechselvolle Geschichte des evangelischen Pfarrhauses. Die Ehe war Programm, für das man sich energisch einsetzte. Zu sehen ist die Kampfschrift von 1522: »Wie gar gfarlich sey. So Ain Priester kain Eeweyb hat«. Demnach gehören fleischliche Liebe und Fortpflanzung zur von Gott geschaffenen Natur. Die Priesterehe beende vor allem die verbreitete »Pfaffenhurerei«.
Am Anfang stand aber auch die Bildung, das akademische Studium. Nach neuem evangelischem Verständnis war die Kirche nicht mehr Heilsvermittlerin, sondern das Heil wurde durch den Pfarrer verkündigt, der als »Lehrer des Christentums« ein Gelehrter sein musste. Auch standesamtliche Aufgaben erfüllten Pfarrer: Einziges Register über Geburt, Hochzeit und Tod waren lange Zeit die von ihnen geführten Kirchenbücher. Ein Pfarrer im 18. Jahrhundert erledigte das in deutscher, griechischer, hebräischer und lateinischer Sprache.
Familienleben und Bildung haben das evangelische Pfarrhaus über Jahrhunderte geprägt. Beruf, Erscheinungsbild und Lebensführung des Pfarrers waren untrennbar verschmolzen. Das Leben im Pfarrhaus wurde genauestens beobachtet – alle seine Bewohner hatten sich ständig vor Publikum darzustellen. Das Gemälde von 1847 »Die Pfarrerskinder« greift dieses »Leben auf der Bühne« mit sanftem Spott auf. Bruder und Schwester spielen den Pfarrer und seine Frau: Er schreitet würdig und hoch aufgereckt mit Bibel unter dem Arm, sie geht mit niedergeschlagenen Augen demütig neben ihm.
Die Ausstellung zeichnet auch den langen Weg von der »Frau Pfarrer« zur Pfarrerin nach. Erst seit 1974 gilt in Westfalen, nach manchen Vorstufen, die volle Gleichberechtigung im Pfarrberuf. Eine Streitschrift von 1953 trägt den Titel: »Die Frau auf der Kanzel?« Zum Ärger der Autorin Eva Hoffmann-Aleith setzte der Verlag kurz vor Drucklegung ein Fragezeichen hinter den Titel. Fast schon skurril wirken die Entwürfe für Vikarinnen-Talare von 1946 und 1950.
Im 20. Jahrhundert wurde das Pfarrhaus politisch. Mit dem Ende der Monarchie 1918 endete die Einheit von Thron und Altar. Das evangelische Pfarrhaus wurde zur nationalkonservativen Festung gegen Republik und Demokratie. Doch seit 1933 gab es auch mutigen Widerstand mancher Theologen gegen die NS-Diktatur. Bilddokumente zeugen davon ebenso wie vom politischen Engagement von Pfarrern nach 1945 in Westdeutschland. In Talar und Beffchen demonstrierten einige 1968 gegen die Notstandsgesetze. Der Widerstand gegen Atomwaffen in den 1950-er Jahren und noch einmal 30 Jahre später war maßgeblich von evangelischen Pfarrern und Kirchenleuten mitgetragen.
Heute haben neue Arbeits- und Partnerschaftsformen das lange gültige Muster außer Kraft gesetzt. »Wie wird das Pfarrhaus der Zukunft aussehen?«, fragte Landeskirchenrat Dr. Vicco von Bülow bei der Eröffnung. »Wir wissen, dass wir diese Frage beantworten müssen. Und wie immer, wenn es um Fragen der Zukunft geht, ist es gut, die Gegenwart und die Geschichte zu kennen«, so der Kulturdezernent der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Die Ausstellung »Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses«, 5. Oktober 2016 bis 11. Januar 2017 im Archivgebäude am Bethelplatz, ist montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr geöffnet (außer 1. November und 26. Dezember).
Kostenlose Führungen gibt es an jedem 4. Mittwoch im Monat: 26. Oktober, 23. November und 28. Dezember, jeweils 17.30 Uhr. Kostenlose Gruppenführungen ab zehn Personen nach Anmeldung:
Telefon 0521/594-164, E-Mail: archiv@lka.ekvw.de. (Pressemitteilung 58/2016)