Jahresmediengespräch: Präses Annette Kurschus zu aktuellen Themen
»Die Redlichkeit gebietet, auch unbequeme Fakten klar zu benennen«
Präses Annette Kurschus hat im Jahresmediengespräch am 7. Juni zu Fragen in Kirche und Gesellschaft Stellung bezogen. Auszüge aus ihrer Ansprache vor Journalisten.
Politik: Ohne Vernunft, Fakten und Redlichkeit geht es nicht
Wenn Politik nur noch aus Stimmungen besteht, wenn Vernunft und Fakten auf der Strecke bleiben, verliert die demokratische Kultur ihr Koordinatensystem. Willkür macht sich breit. Und das wiederum führt in den Teufelskreis der Politikverdrossenheit.
Zur Vernunft gehört Redlichkeit. Die Redlichkeit gebietet, auch unbequeme Fakten klar zu benennen - aber ohne sie zu instrumentalisieren und für billige Polemik zu nutzen. Die Fairness gebietet, nicht jeden, der auf objektive Schwierigkeiten hinweist, in eine bestimmte Ecke zu stellen.
Was Hoffnung macht
- Hoffnung machen mir Politiker, die ehrlich etwas bewegen wollen. Dazu zählen tapfere Bürgermeister, oft in kleinen Städten, die allen Anfeindungen zum Trotz eine menschenfreundliche Politik betreiben.
- Junge Menschen, die sich engagieren. Dazu zählen Jugendgruppen und –verbände, kirchliche und andere, die sich im Kleinen wie im Großen für eine menschenfreundliche Gesellschaft einsetzen.
- Ehrenamtliche, die sich nicht entmutigen lassen. Es sind nicht weniger als früher. Sie wenden ihre Zeit und Energie auf, bringen Sachverstand und Fantasie ein. – in Kirche, Vereinen, Initiativen, in der Nachbarschaft, in der Politik.
- Menschen mit ausländischen Wurzeln, die hier heimisch geworden sind. Dazu gehören auch diejenigen in christlichen Gemeinden fremder Herkunft und Sprache. Rund 700 solcher Gemeinden gibt es in Nordrhein-Westfalen. Viele pflegen gute ökumenische Kontakte zu den »alteingesessenen« Kirchengemeinen.
Was ist Heimat?
Nur wer sich mit etwas identifizieren kann, wird sich heimisch fühlen und seinen Lebensraum mitgestalten wollen.
»Heimat« ist nur offen, individuell und im Respekt gegenüber anderen denkbar – jede staatlich verordnete Definition von Heimat wird scheitern.
Das Kreuz ist nicht zu haben ohne den Gekreuzigten
Christen fragen nach Gott – und diese Frage kann auch zu widerständigen, überraschenden, unbequemen Antworten führen. Unser Zeichen, das Kreuz, war schon von Anfang an den einen ein Ärgernis, den anderen eine Dummheit, schreibt der Apostel Paulus. Das Kreuz ist nicht zu haben ohne den Gekreuzigten: Es ist ein Zeichen Gottes, der sich in seinem Sohn den Menschen so radikal zuwendet, dass er selbst Mensch wird. Diese Botschaft ist global, grenzüberschreitend, unabhängig von Nation, Hautfarbe, Kultur. Es ist abwegig, das Kreuz als Aushängeschild einer bestimmten Kultur politisch zu instrumentalisieren.
Kirchenasyl: Ein notwendiges Zeitfenster
Wenn Flüchtlinge abgeschoben werden sollen und ihnen dann Gefahr für Leib und Leben droht, kann es geboten sein, nochmals alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen – vielleicht sind sie noch nicht ausgeschöpft. In solchen Fällen kann ein Kirchenasyl eine Atempause gewähren, ein notwendiges Zeitfenster öffnen. Dadurch – das haben wir schon oft gesagt, und ich sage es wieder – entsteht kein rechtsfreier Raum. Im Gegenteil: Dieses Zeitfenster des Kirchenasyls, dessen Regeln übrigens klar definiert sind, kann den Rechtsstaat sogar stärken, weil es in vielen Fällen dem Recht zum Durchbruch verhilft.
Gemeinden gewähren dieses Asyl nicht leichtfertig oder aus politischer Opposition, sondern aus christlicher Überzeugung. Denn der christliche Glaube ist keine politische Überzeugung, hat aber sehr wohl politische Konsequenzen.
Das Judentum ist die Wurzel, aus der wir stammen
Wenn heute in Deutschland Juden angegriffen, diffamiert, beleidigt werden, weil sie Juden sind, dann darf uns das nicht kalt lassen. Ob es deutscher Antisemitismus ist, der schon immer da war, oder ob er von zugewanderten Muslimen kommt, ist zweitrangig. Das eine wird durch das andere nicht harmloser – und umgekehrt. Dass Juden heute in Deutschland, deutlich als Menschen jüdischen Glaubens erkennbar, unbehelligt leben können, muss zu unserer Identität gehören. Diese Verpflichtung ergibt sich aus unserer Geschichte. Für Christen kommt hinzu: Das Judentum ist die Wurzel, aus der wir stammen. Wenden wir uns gegen sie, greifen wir die Grundlage unseres eigenen Glaubens an.
Die verfahrene Situation in Israel und Palästina wird sich nur ändern lassen, wenn die Konfliktparteien jenseits von politischen, religiösen, historischen und juristischen Ansprüchen eine Friedenslösung wirklich wollen. Sicherheit, Frieden, Selbstbestimmung sowie eine freie wirtschaftliche Entwicklung für Israel und für das palästinensische Volk sind die Voraussetzungen dafür.