Westfälische und württembergische Landeskirche stellen Pilotstudie zu Austritten vor
Ausgetretene finden Kirche trotzdem wichtig
MedienInfo 33/2021
Die innere Distanz zum christlichen Glauben und die Kirchensteuer sind häufig genannte Motive für einen Austritt aus der evangelischen Kirche, so das Ergebnis einer Pilotstudie.
Die westfälische und die württembergische Landeskirche wollten wissen, was hinter den Zahlen zur Statistik steckt, die an diesem Mittwoch (14. Juli) von der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ebenso wie von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht wird. Deshalb haben sie seit Oktober 2020 insgesamt 464 Telefoninterviews mit Personen geführt, die im Vormonat ausgetreten waren
Die Mitgliederzahl der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) ist 2020 gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent auf 2.104.806 zurückgegangen (Stichtag war der 31.12.2020). Der größte Faktor waren dabei die Todesfälle (36.300). Die Zahl der Verstorbenen stieg 2020 im Vergleich zum Vorjahr (35.292) um 2,9 Prozent. 16.123 Personen (2019: 20.792) sind aus der westfälischen Landeskirche ausgetreten. Das entspricht einem Rückgang von 22,5 Prozent. Dem standen 2259 Eintritte gegenüber (2019: 3445), das sind 34,4 Prozent weniger als im Vorjahr.
In Westfalen gab es im Jahr 2020 wegen der Corona-Pandemie deutlich weniger evangelische Trauungen: 1029 Paare traten vor den Altar, 2019 waren es noch 3387 (minus 69,6 Prozent). Die Zahl der Taufen war mit insgesamt 8125 ebenfalls deutlich geringer. Der Zahl aus dem Jahr 2020 stehen 15.564 Taufen im Jahr 2019 gegenüber (minus 47,8 Prozent).
„Ein Jammer, dass im vergangenen Jahr so viele Taufen und Trauungen nicht wie geplant stattfinden konnten. Sie bieten kostbare Anknüpfungspunkte für unsere Kirche, um mit Menschen in persönlichen Kontakt zu treten und in Kontakt zu bleiben“, sagt Präses Annette Kurschus, leitende Theologin der EKvW, zu den jetzt vorgestellten Zahlen für 2020. In den Gemeinden werden viele Feiern in diesem Jahr nachgeholt, was dank niedriger Corona-Inzidenzen und bewährter Schutzkonzepte möglich ist. Kurschus macht ausdrücklich Mut: „Kommen Sie wieder in die Kirchen und Gemeindehäuser! Leiblich spürbare Gemeinschaft ist durch nichts zu ersetzen, sie belebt unseren Glauben und nährt unsere Hoffnung.“
Anlass für die Pilotstudie der beiden Landeskirchen war, dass die Austrittszahlen seit 2018 über dem langjährigen Durchschnitt lagen. Im Jahr 2020 traten zwar weniger Menschen aus der Kirche aus, was aber mit der Corona-Pandemie zusammenhängt, denn die zuständigen Amtsgerichte waren zeitweise geschlossen.
61 Prozent der kontaktierten Personen waren zu einem Interview für die Studie bereit. Zum Austrittsanlass Kirchensteuer nannten die Befragten unterschiedliche Motive. Manche wollten schlicht sparen, andere vermissten einen konkreten Gegenwert und wieder andere konnten sie sich die Kirchensteuer beispielsweise als Alleinerziehende nicht leisten. Die meisten Befragten nannten allerdings keinen konkreten Anlass für ihren Austritt.
Längerer Prozess bis zur Entscheidung
„Er ist oft Ergebnis eines längeren Prozesses oder Konsequenz aus grundsätzlichen Motiven. Wenn die Befragten von einem konkreten Anlass berichten, handelt es sich meistens um ein aktuelles Thema oder um ein persönliches Erlebnis“, berichtet Pfarrer Hansjörg Federmann, bei der westfälischen Landeskirche für Mitgliederbindung zuständig. Dazu gehöre auch, dass die Kirchenmitgliedschaft in der Vergangenheit nicht aktiv wahrgenommen wurde: „Für mich ist es mit der Kirche wie mit einem Fitness-Studio, für das ich Beitrag zahle, aber nie hingehe", so einer der Befragten.
Ein erfreuliches Ergebnis der Studie lautet: Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, finden es mehrheitlich trotzdem wichtig, dass es die evangelische Kirche gibt. Das gilt sowohl für jüngere als auch für ältere Befragte.
Motive lassen sich drei Komplexen zuordnen
Bei den Austrittsmotiven lassen sich drei Komplexe unterscheiden, nämlich Motive, die sich auf das Handeln der Kirche beziehen, Motive, die Glaubensverlust oder Indifferenz der Kirche gegenüber ausdrücken, und Motive, die für eine individuelle Nutzen-Abwägung stehen. Das Handeln der Kirche spielt vor allem für Menschen ab 40 Jahren eine Rolle, wenn sie überlegen, aus der Kirche auszutreten, so das Ergebnis der Auswertung von Peter Jacobebbinghaus, Statistiker im Landeskirchenamt in Bielefeld. Für die Befragten unter 40 Jahren sind es vor allem der Glaubensverlust und die Nutzen-Abwägung, die den Kirchenaustritt bewirken.
Die männlichen Ausgetretenen stehen sowohl der evangelischen Kirche als auch dem Glauben im Allgemeinen häufiger gleichgültig gegenüber als die weiblichen Ausgetretenen. Das Wohnumfeld spielt keine Rolle: Ob man auf dem Land oder in der Stadt lebt, hat keinen Einfluss auf die Austrittsneigung.
Beim Vergleich der beiden beteiligten Landeskirchen gibt es nur wenig Unterschiede: Insbesondere in Württemberg zeigte sich, dass im ersten Quartal 2021 die Bedeutung der Kirchensteuer als Austrittsmotiv abnimmt und es stärker um das Handeln der Kirche geht. Konfessionswechsel spielt in beiden Landeskirchen kaum eine Rolle.