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Warum Schulsozialarbeit an landeskirchlichen Schulen so wichtig ist

„Wir richten uns immer nach dem, was die Kinder und Jugendlichen brauchen“

Ende der 2000er-Jahre war für die Lehrer*innen im Evangelischen Schulzentrum Espelkamp klar: Die Unterschiede in der Schülerschaft werden immer größer - und damit verändern sich auch die pädagogischen Anforderungen: Wir brauchen jetzt Unterstützung. Die Herausforderungen, mit denen Schüler*innen an das evangelische Söderblom-Gymnasium und die damalige Birger-Forell-Realschule (seit 2013 Sekundarschule) kamen, waren und sind komplex. Es war die Stunde des ersten Schulsozialarbeiters. Es war die Stunde von Sebastian Schröder.

Wie wertvoll die Arbeit ist, die das heutige Team um den 42-Jährigen leistet, musste sich aber erst herumsprechen. „Zu Beginn, 2009, war es ein Projekt, das wahrscheinlich nicht jeder verstanden hat“, erinnert sich Schröder. Heute kümmert er sich (zusammen mit den Sozialarbeiterinnen Luisa Raabe und Angelika Reyes sowie aktuell Pia Wippermann im Anerkennungsjahr und Praktikantin Lea Niemeyer) um dutzende Klassen und hunderte Schüler*innen. Und das Kollegium ist froh über die Hilfe, sagt Raabe. „Denn für die Lehrer*innen ist es eine Entlastung, wenn sie uns dazu holen können.“ 

Besonders im integrativen System der Birger-Forell-Sekundarschule, in dem Schüler*innen aller Schulformempfehlungen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam lernen, ist Schulsozialarbeit ein wesentlicher Beitrag, um die pädagogische Arbeit von Schule erfolgreich zu flankieren. Auch für das Söderblom-Gymnasium ist Schulsozialarbeit eine stetige Konstante, um diesem Auftrag gerecht zu werden, „denn auch dort ist eine Zunahme psychischer und sozialer Belastungen deutlich spürbar“, erklärt Schröder.

Wie die Beratung abläuft

In der Beratung, die den Großteil der Arbeit des Teams ausmacht, geht es mal um Probleme zu Hause, mit dem Lernstoff, mit Freunden, aber auch mal um finanzielle Sorgen, Leistungsdruck, psychische Belastungen und Burn-out. In Einzelfällen auch um Gewalt. „Unsere wichtigste Aufgabe ist, da zu sein, ansprechbar zu sein“, sagt Reyes. „Auch wenn Schüler*innen schon drei- oder viermal ‚Nein‘ zu Hilfsangeboten gesagt haben: Die Tür muss immer offenbleiben.“

Beratung sei immer ein Prozess. Am Anfang steht die individuelle Beratung. „Wir schauen, wo steht das Kind, was mag es erzählen und was vielleicht noch nicht. Das Wichtigste ist immer: Was braucht das Kind? Danach richten wir uns“, erklärt Raabe. Nicht immer gibt es eine schnelle Lösung. 

Die Schüler*innen müssen trotzdem immer spüren: Hier werden sie ernst genommen und ihre Probleme nicht kleingeredet oder abgetan. „Probleme, die uns als Erwachsenen vielleicht nicht mehr so schlimm vorkommen, sind für Schüler oft riesengroß“, erklärt Schröder. „Und das darf man nicht belächeln, nach dem Motto: Ist doch nicht so schlimm. Wir sind dazu da, ihnen zu helfen und letztlich auch an den Problemen zu wachsen – so wie wir das als junge Menschen auch mal lernen mussten.“

So unterschiedlich die Probleme, so verschieden sind auch die Reaktionen der Schüler*innen auf die Hilfsangebote des Sozialarbeiter-Teams. Mancher wünscht sich, dass die Erwachsenen die Krise für ihn lösen, die andere testet erst einmal, ob „die Großen“ überhaupt begreifen, was das wahre Problem ist. „Das Kind gibt immer das Tempo vor“, sagt Reyes. Man dürfe ihm oder ihr keinen „Prozess überstülpen, den es nicht mitgehen kann“.

Was Schüler gerade beschäftigt

Apropos Rücksicht auf die Bedürfnisse von jungen Menschen: In der Pandemie hätten sich viele Probleme verschlimmert, die es schon vorher gegeben habe, sagt Raabe. Viele Kinder hätten im Homeschooling verlernt, wie man sich in Gruppen verhält, sich auch mal zurücknimmt. Ältere Schüler*innen seien dagegen oft der Meinung: Wir wurden während Corona vergessen, jetzt sind wir auch mal egoistisch. „Sie müssen erst wieder lernen, dass sie voneinander profitieren“, sagt Schröder.

Dass das – auch mithilfe von Schulsozialarbeit – funktioniert, erklärt er anhand des Beispiels einer fünften Klasse. „Die Schüler*innen hatten eigentlich vom Fleck weg Probleme miteinander. Es gab viele Charaktere, die gern ‚Chef*in sein‘ wollten, konnten sich kaum aufeinander einlassen.“ Auf der Kennenlernfahrt seien dann aber alle „super motiviert“ gewesen, hätten Lust auf das Programm gehabt. Die Rollenkonflikte hätten sich deutlich gebessert. „Das war natürlich viel Arbeit für uns, auch für die Lehrkräfte – aber vor allem eine schöne Überraschung.“

Gute Zusammenarbeit mit den Lehrer*innen

Überhaupt: das Kollegium. 14 Jahre nach der Einrichtung von Schröders Stelle ist die Schulsozialarbeit fest in das Schulleben eingebunden. „Die Zusammenarbeit ist sehr gut“, sagt Raabe. Die Lehrer*innen kämen häufig mit Beobachtungen aus den Klassen zu ihnen, fragten auch selbst um Rat. Nicht selten sind diese Gespräche Ausgangspunkt für den Erstkontakt mit Schüler*innen oder Präventionsprojekte mit ganzen Klassen.

Das Verständnis dafür, dass Schüler*innen wegen bestimmter Probleme schulisch entlastet werden müssen, sei sehr hoch, sagt Schröder. Solche kurzfristigen Maßnahmen – verkürzte Schultage, hauseigene Ergotherapie oder, ganz praktisch, Ohrenschützer für Schüler*innen, die sich schlecht konzentrieren können – trage das Kollegium großartig mit. Auch wenn das zusätzliche Anstrengungen bedeutet. Aus Kontakten mit anderen Schulen weiß Raabe: Das ist beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Trotzdem ist man in Espelkamp froh, dass das Angebot so gut angenommen wird. Zur Beratung kommen noch Projekte hinzu, wie zum Beispiel Gefahren im Netz, Suchtprävention sowie die Beziehungsarbeit in den Klassen – und vieles mehr. „Wir haben oft mehr zu tun, als wir leisten können“, sagt Raabe. Deshalb freue sie sich über jeden Fall, in dem Schüler*innen nach einem Gespräch nicht erneut auf sie zukämen und gestärkt ihren Weg weitergehen können. „Das ist das Ziel – und da gibt es viele positive Beispiele, wo das so gelaufen ist.“

Alles gut also? Na ja, sagt Schröder, auch wenn schon vieles funktioniere, würde er sich doch wünschen, dass der Wert von Schulsozialarbeit an noch mehr Schulen erkannt und gefördert würde. „Eigentlich sollte sie flächendeckend fester Bestandteil von Schule sein“, ergänzt Raabe, „ein eingängig finanziertes Angebot, dass sich an der Anzahl und den Bedarfen der Schüler*innen und den Bedarfen der jeweiligen Schule orientiert“. Das würden sie sich für die Zukunft wünschen, auch von der Politik. Ihre Arbeit – und ihr Erfolg – dürfen jedenfalls als gute Argumente dafür gelten.

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