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auf einen Blick
Präses Dr. h. c. Annette Kurschus zu Christi Himmelfahrt

Vor Gott und mit Gott ohne Gott leben

Scheiden – so weiß es der Volksmund – tut weh. Schon für diejenigen, die „zum Städtele hinaus“ müssen. Der geliebte Schatz fehlt an allen Ecken und Enden. Ja, Scheiden tut weh. 

Als leise Beklommenheit spüren wir das mitunter schon bei ganz alltäglichen Abschieden. Je weiter die Entfernungen werden, je länger die Zeiten sich ziehen, die zwischen uns geraten, desto bewusster wird uns, wie gefährdet jedes Miteinander ist; wie begrenzt jede Gemeinschaft, wie endlich jede Liebe. Umso fester werden die Umarmungen, umso karger die Worte. Bis zum Schluss nur noch das Wort ‚Gott’ bleibt. Tatsächlich kommt all unser Verabschieden mit Gott daher, als eine Art vergessenes Segnen: „A Dieu“, „Pfüati Gott“, „tschüss“, „goodbye“.

Als er sie segnete, schied er von ihnen. So heißt es in der biblischen Erzählung von der Himmelfahrt Jesu. 
In manchen Kirchen wird an Christi Himmelfahrt nach der Lesung der Himmelfahrtsgeschichte die Osterkerze ausgeblasen – das Licht, das die Gegenwart Christi symbolisiert. Dieses Ritual steht für eine sehr reale menschliche Erfahrung: Wir vermissen Christus, wir vermissen Gott bei uns auf der Erde. Hier und jetzt. In den gegenwärtig zerrissenen Zeiten womöglich besonders.

„Fast der ganze Christus war weg“, schreibt Martin Luther einmal im Rückblick auf eine Phase schwerer Krankheit. Und als der Theologe Dietrich Bonhoeffer in der Haft der Gestapo sitzt, erkennt er: Christsein heißt, „vor Gott und mit Gott ohne Gott zu leben“. 

Wenn das stimmt, dann ist Christi Himmelfahrt ein höchst aktuelles Fest. Ein Fest, an dem wir vor Gott bringen, dass er fehlt – und wie er fehlt. Gerade wer auf Gott vertraut, leidet oft besonders schmerzlich daran, wie fern er scheint.

Als er sie segnete, schied er von ihnen.

Ob Jesus mit diesem Abschiedssegen seine Jünger und Jüngerinnen genau dazu ermutigt: „Vor Gott und mit Gott ohne Gott zu leben“?
Seinen Frieden in die Welt zu tragen, seine Versöhnung, seine Gerechtigkeit, seine Liebe – gegen Hass, Gewalt, Gleichgültigkeit und Unfrieden?
Auf die Macht des Lebens zu setzen – allen grausamen und subtilen Spielarten des Todes zum Trotz? In der festen Gewissheit, dass Gott die Welt in seinen Händen hält.

In diesem Sinne wünscht Ihnen einen gesegneten Himmelfahrtstag

Präses Annette Kurschus
(Westfalen-Blatt vom 30.05.2019)

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