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Rassismus- und diversitätssensibel: Warum es bald eine Alle-Kinder-Bibel gibt

„Ich dachte immer: Ich bin da nicht drin“

Jesu Botschaft von bedingungsloser Nächstenliebe ist heute aktueller denn je. Und doch ist auch die Bibel nicht frei von diskriminierender Sprache. Dem wollte die Vereinte Evangelische Mission (VEM) begegnen – und hat eine rassismus- und diversitätssensible Kinderbibel in Auftrag gegeben.

Die EKvW förderte das Projekt, an dem unterschiedlichste Experten mitwirkten, mit 10.000 Euro. Die Kinderbuchautorin Andrea Karimé hat die 21 Geschichten für diese „Alle-Kinder-Bibel“, die im März erscheint, neu aufgeschrieben.

Wie ging die Autorin vor?

Ihr Ansatz war simpel: Den Kern der Geschichten bewahren, ohne Vereinfachungen, aber alles Diskriminierende streichen. Eine Expertenrunde der VEM, bestehend aus TheologInnen, Queeren, Schwarzen sowie Menschen mit Behinderungen, begleitete ihre Arbeit an den vorab ausgewählten Geschichten. Dazu gehörte auch ein sogenanntes Sensitivity Reading. „Das soll Diskriminierungen aufspüren: in der Geschichte, aber auch in der Sprache“, sagt Karimé.

Es sei wichtig, dass das Menschen ohne die sogenannte „Empathielücke“ machten, erklärt die frühere Grundschullehrerin. Also Menschen, die verletzende Worte oder Formulierungen auch erkennen, weil sie sie betreffen.

Dasselbe gilt für die Illustrationen. „Kinder und andere Personen of Color sind auf den Bildern immer in der Mehrheit. […] Sie sollen sich in den Geschichten und Illustrationen wiederfinden; ihre Perspektive ist bestimmend“, beschreiben es die Macher in den Erklärungen zu ihrem Werk.

Das Ziel: „Wir wollen mit dieser Kinderbibel neue Bilder in Kinderköpfen hervorrufen und damit zu einer rassismuskritischen und vielfaltssensiblen Bildung der nächsten Generation beitragen. Gott wird daher nicht nur männlich dargestellt, der jüdische Ursprung der Heiligen Schrift wird gewürdigt, Eva und Adam haben keine Modelmaße, Noah bekommt seinen ursprünglichen Namen Noach zurück, Jesus ist Person of Color und Jude“, schreibt die Autorin und Theologin Sarah Vecera („Wie ist Jesus weiß geworden?“) im Vorwort.

In allen Geschichten taucht in jeweils einem Bild außerdem ein Schlüsselbegriff der Erzählung auf, übersetzt in mehrere Sprachen, um seine Bedeutung über Sprachgrenzen hinweg zu verdeutlichen. Dabei merkte Karimé selbst, wie viele Perspektiven es bei jedem Wort zu bedenken galt. „Bei Jesus‘ Gleichnis vom Himmelreich hatte ich mich für das Wort Gast entschieden, das aus arabischer Perspektive etwas ganz Positives ist“, sagt die 59-Jährige, deren Vater aus dem Libanon stammt. „Aber in unserem Zusammenhang ist das Wort strittig: ‚Du bist hier nur Gast‘, das hören Menschen zum Beispiel türkischer Herkunft in Deutschland auch nach 60 Jahren Gastarbeitergeschichte immer noch“, sagt Karimé. Das neue Signalwort wurde deshalb der „Tisch“.

Warum braucht es eine solche Bibel?

Karimé fühlte sich auch deshalb zu dem Projekt hingezogen, weil sie selbst mit zwei Religionen groß geworden ist. „Mein Vater ist Muslim, meine Mutter katholisch. Ich habe als Kind die Geschichten geliebt, bin auch heimlich in den evangelischen Kindergottesdienst gegangen“, erzählt sie lachend.

Hat sie sich beim Schreiben an diese Kindheitserfahrungen erinnert? „Ich weiß noch, dass mich schon damals irritiert hat, dass Ismael (biblischer Stammvater der Araber, im Islam gehört er zu den Propheten) in der Bibel mit einem Wildesel verglichen wird. Das ist rassistisch, eine Entmenschlichung. Ich konnte das nicht benennen, aber das fühlte sich damals schon falsch an. In der Alle-Kinder-Bibel steht er den anderen in nichts nach.“

Für Karimé ist diese Erinnerung nur ein weiterer Beleg dafür, wie Sprache und Bilder Kinder schon früh prägen. „Es hat auch früher was mit mir gemacht, dass Kinder wie ich in Kinderliteratur kaum vertreten waren.“ Dass man ihr ihr Anderssein immer vor Augen gehalten habe, nicht nur in Büchern, sei ihre Normalität gewesen. „Das war nicht schön.“

Die biblische Botschaft sei natürlich schon immer für alle bestimmt. Aber dass sie sich erfülle, „dafür muss man was tun“. Abbildungen, in denen sie sich wiedergefunden hätte, „hätten mir schon geholfen“, sagt Karimé heute. „Ich habe jedenfalls immer gedacht: Ich bin da nicht drin.“

Was hat sich an den Geschichten geändert?

Anderes Beispiel für eine geänderte Geschichte: Bartimäus. „Er ist immer noch blind, das steht alles noch drin in unserer Fassung. Aber nicht mehr so auserzählt, als wäre es das Einzige, was diesen Menschen ausmacht. Das ist einfach keine respektvolle Darstellung – und deshalb habe ich das geändert.“

Ähnlich ergeht es den Frauenfiguren, die Karimé und das Expertenteam prominenter ausgestalteten. „Maria singt jetzt zu Beginn der Weihnachtsgeschichte, als der Engel zu ihr kommt, erstmal ein kraftvolles Lied.“ Auch das mutige Nein der Hebammen Pua und Schifra, die sich dem vom ägyptischen Pharao in Auftrag gegebenen Mord an den Erstgeborenen der Israeliten widersetzten, bekommt in der Alle-Kinder-Bibel mehr erzählerischen Raum.

Und dann ist da noch die Sache mit den Irritationen. Karimé arbeitet furchtbar gern mit ihnen, also zum Beispiel mit fantasievollen Wortneuschöpfungen. So hat der reiche, aber verhasste Oberzöllner Zachäus bei ihr das Gefühl, er habe einen „Lächelmantel“ an. „Klar verstehen Kinder das vielleicht nicht auf Anhieb. Aber was, wenn doch? Vielleicht stellen sie sich auch einfach nur eine Frage, sprechen mit jemandem darüber. Und dann passiert was.“ Das Nicht-Verstehen sei eben der erste Schritt zum eigenständigen Denken.

Dass „ihre“ Bibel Aufsehen erregen wird, da ist sich Andrea Karimé sicher - und das nicht nur wegen der Gendersternchen im Text. Die Ankündigung sorgte in sozialen Medien jedenfalls schon für große Begeisterung. Und dennoch sagt sie: „Die Alle-Kinder-Bibel ist auch nicht perfekt. Das Wissen um Diskriminierungen wächst mit jedem Tag. In der nächsten Auflage gibt es dann bestimmt nochmal Veränderungen. Wir sind alle immer nur auf dem Weg.“

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