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Präses Annette Kurschus zum Jahrestag der Mordanschläge in Hanau

„Die Liebe rebelliert gegen Ungerechtigkeit“

„Einen Zufall im besten Sinne des Wortes“, nannte die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), Annette Kurschus, den aktuellen Predigttext, „etwas, das uns von Gott her zufällt.“ In ihrer Eigenschaft als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) predigte Kurschus in der Hanauer Marienkirche zum Gedenken anlässlich des Jahrestages der rassistisch motivierten Morde in Hanau am 19. Februar 2020. Predigttext war das biblische Lied von der Macht der Liebe (1. Korinther 13).

„Die Liebe hört niemals auf“, schreibt Paulus in seinem Brief an die Korinther. Auch dem Mörder von Hanau sei es nicht gelungen, die Liebe zu den neun Menschen, die er in seinem Hass umgebracht hat, zu zerschießen – „das hätte er wohl gern gehabt. Das Gegenteil ist eingetreten“, sagte Annette Kurschus. Die Liebe zu Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov sei geblieben. „Sie ist vielleicht sogar stärker, auf jeden Fall bewusster und öffentlicher geworden“, so die Präses.

Aber die Liebe zu diesen Menschen habe ihre Leichtigkeit verloren. Sie zeige sich in der Trauer. „Was da in Ihnen trauert und rumort und schmerzt, das ist nichts anderes als Liebe, die nicht aufhört. Und: Sie fühlt sich bei allen ein bisschen anders an“, sagte Annette Kurschus an die Hinterbliebenen der Opfer gewandt.

Manche, die nicht direkt betroffen seien, wollten die Trauer irgendwann für abgeschlossen erklären, sagte die Ratsvorsitzende: „Irgendwann muss es doch mal wieder gut sein.“ Aber wenn es tatsächlich irgendwann wieder gut werde, könne es nur anders gut werden. „Und wann etwas gut ist und wann nicht, das können allein die betroffenen Menschen sagen, jeder und jede für sich“, so die Präses.

Annette Kurschus dankte den Angehörigen der Hanauer Opfer für ihre Beharrlichkeit, mit der sie erreicht hätten, dass ein Untersuchungsausschuss nach der Wahrheit über die Mordanschläge suche. „Die Betroffenen mussten Druck machen und dafür sorgen, dass zustande kam, was ohne sie liegengeblieben wäre“, sagte Kurschus. „Das kann und das muss man beklagen, ja. Vor allem aber bewundere ich Sie als Angehörige dafür.“, so die Präses. Auch diese Beharrlichkeit sei ein Ausdruck von tatkräftiger Liebe.

„Tenderness is, what love feels in private. Justice is what love looks like in public”, zitierte die Ratsvorsitzende den Bürgerrechtler Cornel West, „Zärtlichkeit ist, wie Liebe sich im Privaten anfühlt. Gerechtigkeit ist ihr Gesicht in der Öffentlichkeit.“ Wenn der Apostel Paulus formuliere, „die Liebe erträgt alles und glaubt alles“, dann meine er nicht, sie finde sich mit allem ab und decke es mit dem sprichwörtlichen Mantel der Liebe zu. „Im Gegenteil: Die Liebe rebelliert gegen Ungerechtigkeit. Den dumpfbackigen Parolen, die Hass verbreiten, glaubt sie nicht. Sie reißt die Masken der Feigheit ab“, so Annette Kurschus.

„Die Liebe hört niemals auf.“ Übersetzt ins öffentliche, gesellschaftliche Leben bedeute das: Der Einsatz für Gerechtigkeit, der Protest gegen Rassismus, der Widerstand gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit hören niemals auf, bekräftigte die Ratsvorsitzende.

Erst die Liebe mache den Glauben wirklich zum Glauben. „Es ist die Liebe, die unsere Religionen erfüllt und die unsere unterschiedlichen Weisen, Gott zu ehren, tief miteinander verbindet“, so Kurschus. „Es ist die Liebe, in der wir eins sind.“

Die Morde vor drei Jahren hätten vielen Menschen in und weit über Hanau hinaus ihr Urvertrauen in die Welt geraubt und ihr Leben in Stücke gehauen, beklagte die Ratsvorsitzende.

Paulus habe diese Erfahrung gekannt. Doch er habe trotzig an der Hoffnung festgehalten: „Das, was wir jetzt und hier erleben, ist nicht das Letzte. Es kommt der Tag, da werden wir Gott und seine Gerechtigkeit sehen.“ Und darauf warten müsse man nicht mit leeren Händen: „Uns bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

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Datum: 20.02.2023