Evangelische Kirche Borgholzhausen ist Denkmal des Monats
Bundesweit einzigartige Dachwerke sind womöglich älter als gedacht
Eine Dachkonstruktion ohne bekannte Vergleichsbeispiele, die vermutlich noch älter ist, als gedacht: Aufgrund der Ergebnisse einer derzeit laufenden bauhistorischen Untersuchung erklärt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die Dachwerke der evangelischen Kirche in Borgholzhausen (Kreis Gütersloh) zum Denkmal des Monats Januar.
„Über dem Chor, dem Langhaus und den beiden Querhausarmen befinden sich ähnlich aufgebaute Dachwerke aus Eichenholz, deren konstruktive Besonderheiten auf ein hohes Alter schließen lassen“, sagt LWL-Bauforscher Peter Barthold in einer Mitteilung. Bevor im Sommer 2023 Sanierungsarbeiten beginnen, nehmen er und sein Kollege Frank Högg die Dächer genau unter die Lupe.
Zur Datierung der verschiedenen Konstruktionen entnahmen die Bauforscher insgesamt 16 Bohrproben aus den verbauten Hölzern. Durch einen Abgleich der Jahresringe kann das Alter von Hölzern bestimmt werden. So gelang es den LWL-Fachleuten erstmals, das Alter der Dachbalken über dem Westturm zu bestimmen. „Die dendrochronologische Untersuchung ergab, dass dieses Dachwerk 1665 oder kurz danach verzimmert worden ist. Auch ein stark dimensionierter Tragbalken unterhalb des Glockenstuhls wurde in die gleiche Zeit datiert“, erklärt Barthold. Ob diese umfangreiche Baumaßnahme im Zusammenhang mit Schäden aus dem 30-jährigen Krieg steht, müsse noch geklärt werden.
Von den insgesamt acht Proben aus den Dachwerken über dem Chor, dem Langhaus und den beiden Querhausflügeln konnten die Bauforscher nur eine Probe sicher datieren. Sie stammt aus einem über dem Chor wiederverwendeten Balkenabschnitt und wurde auf „um 1336“ bestimmt. Eine 1980 aus demselben Balken entnommene Probe hatte ein Fälldatum „um 1492“ ergeben. „Die zwei unterschiedlichen Datierungen des gleichen Holzes zeigen den Kern des methodischen Problems“, so Peter Barthold. „Nicht nur das Klima hat Auswirkung auf das Wuchsverhalten der Bäume, sondern auch deren Standort. In diesem Fall wuchsen offenbar die meisten zu Bauholz verarbeiteten Eichen in konstant sehr wasserreichen Gegenden und bildeten daher trotz Temperatur- und Niederschlagsschwankungen gleichmäßig breite Jahrringe aus. Dieser Befund verringert allerdings drastisch die auf den Breitenschwankungen der Jahrringe beruhende Datierungsmöglichkeit solcher Hölzer.“
Auch die Konstruktionsweise der Dachwerke nahmen die LWL-Experten noch einmal neu in den Blick. Die Ergebnisse überraschten selbst den langjährigen Bauforscher Peter Barthold: „Bemerkenswert ist, dass im Chor- und Langhausdach in jedem Sparrengebinde oberhalb des unteren Kehlbalkens schräg von seiner Mitte zu den Sparren laufende Sparrenstützbänder eingebaut sind. Dadurch ergeben sich im Querschnitt optisch zwei weitere Dreiecke. Die Sparren sind ungewöhnlicherweise an den Fußpunkten mit Versatz in die Stichbalken und Sattelbalken gezapft worden. An diesem Detail zeigt sich, dass die Zimmerleute vor Jahrhunderten deutlich mehr bauliche Lösungen kannten, als heute überliefert ist.“
„Die Borgholzhauser Kirchendachwerke sind ein einzigartiges Beispiel mittelalterlicher Handwerkskunst. Bundesweit ist sie auf jeden Fall einzigartig, auch in Europa ist mir keine vergleichbare Dachkonstruktion bekannt“, erklärt Barthold die Besonderheit des Fundes. So habe auf einer internationalen Konferenz des renommierten Arbeitskreises für Hausforschung 2022 in Konstanz keiner der 120 Experten Vergleichbares gekannt.
Hintergrund
Bereits 1975/76 fanden im Zusammenhang mit dem Einbau einer Fußbodenheizung in der Kirche umfangreiche archäologische Untersuchungen statt. Die Ergebnisse wurden 1981 von dem Grabungsleiter Uwe Lobbedey unter dem Titel „Borgholzhausen - Archäologie einer westfälischen Kirche“ veröffentlicht. Die im Kirchenraum ergrabenen Reste von drei kleinen Vorgängerkirchen des 9. bis 12. Jahrhunderts zeigten, wie wichtig baubegleitende Untersuchungen auch bei zunächst unscheinbaren Pfarrkirchen sind.