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Auftakt der Landessynode 2020: Präses Annette Kurschus ermutigt, die Frage nach Gott in unserer Gesellschaft wachzuhalten

Wir müssen nicht Weihnachten retten – denn Gott rettet uns

SynodeAKTUELL Nr. 1/2020
 

„Die Frage nach Gott wachhalten: Das ist es, was unsere Gesellschaft von der Kirche verlangen kann und was sie – Gott sei Dank! – während der letzten Monate auch immer lauter und deutlicher verlangte“, sagte Präses Annette Kurschus am Montag (16. November) zum Auftakt der westfälischen Landessynode, die in diesem Jahr pandemiebedingt ausschließlich digital tagt.

Für die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) ist das biblischer Auftrag und gesellschaftspolitische Herausforderung zugleich. 

In ihrem Bericht, der in diesem Jahr starke theologische Akzente setzt, ermutigte Annette Kurschus zu theologischer Klarheit und Tiefe: „Die Welt braucht von uns die ernsthafte Frage nach Gott. Die Frage wohlgemerkt. Und nicht gleich die verdächtig schnellen Antworten.“ Es gehe darum, mit anderen zusammen nach Gott zu fragen und gemeinsam auszuhalten, „dass Gott schweigt; dass wir nicht erklären können, was er tut oder nicht tut“. Wir müssten anerkennen, dass wir Gott nicht berechnen können; dass es uns nicht zusteht, ihn in Schutz zu nehmen, und schon gar nicht, ihn zu rechtfertigen. Darüber werde die Hoffnung „bisweilen verflixt kleinlaut“. Zugleich gelte es zu „begreifen, dass wir dennoch von unserer Hoffnung nicht schweigen dürfen“. Die Pandemie, so Kurschus, habe auf neue Weise deutlich gemacht, wie dringend nötig das vertiefte Gespräch zwischen Theologie und Kirche sei. Sie kündigte an, „eine Art Lehr- und Lerngespräche“ zum „intensiven Austausch zwischen Kanzel und Katheder“ mit Vertreterinnen und Vertretern der theologischen Fakultäten zu initiieren. Ihre Motivation: „Dort werden wir uns üben und einander stärken in unserer christlichen Verantwortung und in der Pflicht zur ‚Rechenschaft über die Hoffnung, die in uns ist‘. Diese Hoffnung dürfen wir der Welt nicht schuldig bleiben.“

Wer rettet eigentlich wen an Weihnachten?

„Wir machen das alles, um Weihnachten zu retten“: Eigentlich war er gut gemeint – der Satz eines Politikers, mit dem er schon vor einigen Wochen für den gemäßigten Lockdown im November warb. Seine Intention: Haltet durch! Die neue Durststrecke lohnt sich! Aber Sprache sei verräterisch, mahnte Kurschus, und stelle manchmal – ohne es zu wollen und zu merken – Verhältnisse in geradezu kurioser Weise auf den Kopf: „Das Fest, mit dem wir die Ankunft des Retters der Welt feiern, muss von uns gerettet werden Konsequent zu Ende gedacht: Wir Menschen retten Gottes Kommen in die Welt. Noch zugespitzter: Wir Menschen retten Gott.“ Der Satz sei und bleibe verräterisch. Denn auch ohne Corona-Pandemie ließen wir uns allerlei einfallen, damit der ‚liebe Gott‘ lieb bleibe und mit „all dem Dunklen und Unbegreiflichen und Verstörenden in der Welt“ nichts zu tun habe. Da werde Gott, der Allmächtige, „mal eben so erklärt, genauer genommen: weg-erklärt. Damit er in unsere Vorstellungen von ihm hineinpasst“. Und immer dringlicher stelle sich die Frage: Wer rettet hier eigentlich wen? „Wir werden Weihnachten feiern – auch und gerade in diesem Jahr“, machte Kurschus Mut. Aber nicht, weil wir die Lockdown-Regeln befolgt haben, sondern „weil der Retter in der Welt ist und sich immer neu aufmacht, werden wir feiern“.

Schon seit Wochen und Monaten laufen die Vorbereitungen, um die bevorstehenden Höhepunkte im Kirchenjahr unter den gegebenen Bedingungen festlich zu gestalten. „Wir werden die Nachricht von der großen ‚Freude, die allem Volke widerfahren wird‘, in die Welt tragen. Wir werden alles dafür tun, dass sie sich in Stadt und Land verbreitet, in Häuser und Wohnungen gelangt“, verspricht Kurschus und ist gewiss: Weihnachten ist gerettet! „Durch das Kind in der Krippe, durch den allmächtigen, menschgewordenen Gott, in dessen Macht es liegt, ohnmächtig zu sein. Angewiesen und hilfsbedürftig. Verletzlich und ausgeliefert, mit Haut und Haar. Gerettet sind wir durch den, der Licht ins Dunkel bringt. Heil und Frieden in unser zerrissenes Leben. Weil er gekommen ist, machen wir das alles. Und weil er in diesem Jahr ganz gewiss neu kommen wird. Wie immer wir feiern werden. Wer weiß: Vielleicht wird es ein Fest, bei dem Gott uns näher kommt als je zuvor.“

Einsame nicht allein lassen – Alten und Kranken beistehen

Mit ehrlicher Hochachtung und großem Respekt, so Kurschus, habe sie wahrgenommen, wie Menschen landeskirchenweit – in Kirchenkreisen und Gemeinden, in Ämtern und Werken, in Kindertageseinrichtungen und Schulen sowie in unterschiedlichen Bereichen der Diakonie unter nie gekannten Bedingungen neu nach ihrem Auftrag gefragt haben und ihm nachgekommen sind: „Ideenreich und engagiert, zum Teil weit über die körperlichen und seelischen Kräfte hinaus.“ Neue Verkündigungsformate und neue Formen der Seelsorge seien entstanden, ungewöhnliche Wege zu den Menschen gesucht und gefunden worden, ebenso überraschende Formen der Nähe – über die gebotene körperliche Distanz hinweg. Jetzt gelte es weiterhin: „Einsame nicht allein zu lassen, Alten und Kranken beizustehen, Menschen in Not nah zu sein: Dies wird gerade jetzt in besonderer Weise von uns erwartet, und ich danke allen, die sich dieser Aufgabe Tag für Tag und auch bei Nacht stellen.“

Für Menschlichkeit – gegen Rechtspopulismus

Die Weihnachtsbotschaft enthält für Annette Kurschus den ausdrücklichen Auftrag , „über den Bauchnabel der eigenen Fragen und Probleme hinauszublicken“ und an diejenigen zu denken, die gegenwärtig an den Rand der Aufmerksamkeit rutschen oder sogar drohen, ins Vergessen zu geraten. Zum Beispiel die Menschen im Flüchtlingslager Moria: „Europa, Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen kann, sollte und muss hier mehr tun.“ Oder Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die unter massiven Missständen in ihren Unterkünften leiden. Kurschus: „Unsere Sorge, unsere Fürsprache und auch unser beharrlicher Einspruch werden nicht nachlassen, wo die Würde von Menschen – gleich welcher Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe – bedroht und gefährdet ist. Das schließt – gerade in Zeiten der Pandemie – das Zeugnis gegen Rechtsextremismus und die Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtspopulismus ebenso ein wie den deutlichen Widerspruch gegen alten und neuen Antisemitismus.“

Solidarität und Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Ob es um die weltweit gerechte Verteilung eines Corona-Impfstoffs oder ein solidarisches Miteinander in unserer Gesellschaft geht: „Das Virus fordert unseren Willen zur Solidarität und unsere Sehnsucht nach Gerechtigkeit heraus. Ohne diesen Willen und ohne diese Sehnsucht verstärkt es alte Trennungen und schafft neue Risse“, warnte Kurschus in ihrem Bericht. Ähnliches gelte für die Maßnahmen, die das Infektionsgeschehen begrenzen sollen. Auch dabei seien die Lasten, die auferlegt, und die Einschränkungen, die abverlangt werden, überaus ungleich verteilt: „Die Betroffenen brauchen unseren Respekt und unsere Unterstützung. Vor allem verdienen sie es, gehört und wahrgenommen zu werden.“ Wohlwissend, dass es höchstens eine kleine Geste sei, werde sie diesen Kontakt in den nächsten Wochen suchen. Dazu seien digitale Gesprächstermine mit Medizinerinnen und Pflegern, Künstlerinnen und Kulturschaffenden, Gastronominnen und Gastronomen sowie Ehrenamtlichen und Insassen von Unterbringungseinrichtungen für Geflüchtete bereits in Planung.

Klimaschutz bleibt auf der Agenda

Stichwort Klima: Dass die weltweite Klimakrise tiefer und anhaltender sein wird als die Corona-Pandemie, steht für Kurschus außer Frage. Darum ihr Appell vor der Synode: „Es mag sein, dass die das Virus der Schöpfung, die unter unserer Art zu leben und zu wirtschaften leidet, hier und da eine kurze Atempause verschafft. Aber es darf nicht geschehen, dass es zur Ausrede dient, um politisch und wirtschaftlich in der Klimafrage weniger entschlossen und weniger schnell zu handeln.“

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Datum: 16.11.2020