125 Jahre Wiederverwertungsstelle in Bielefeld-Bethel
»Sammelt die übrigen Brocken, auf das nichts umkomme«
BIELEFELD - Menschen mit Behinderungen eine sinnvolle Beschäftigung zu geben und gleichzeitig Gebrauchtes zu recyceln, das ist die Idee der Wiederverwertungsstelle in Bethel. Dieses Jahr feiert die »Brockensammlung« ihr 125-jähriges Bestehen.
Im Herbst 1890 rief der frühere Bethel-Leiter Pastor Friedrich von Bodelschwingh erstmals in der Presse zur »Sammlung der übrigen Brocken« auf. Was die Menschen spenden sollten, klingt heute sonderbar: Altes Papier, Knochen, zerbrochene Gläser - die v. Bodelschwinghschen Anstalten, heute Stiftungen genannt, konnten fast alles gebrauchen. Die ausrangierten Dinge wurden in der diakonischen Einrichtung in Bielefeld sortiert und wiederverwertet. »Friedrich von Bodelschwingh hat das Recycling als Geschäftsidee entwickelt«, sagt Bethel-Historikerin Bärbel Bitter. Zum 125-jährigen Bestehen der Wiederverwertungsstelle zeigen die Stiftungen ab 6. September die Ausstellung »Schätze aus der Brosa«.
Wertvolle Gemälde, Schmuck, Porzellan - unter den vielen Sachspenden fanden sich in den Jahrzehnten immer wieder kleine Schätze. Die Ausstellung zeigt ausgewählte Stücke, zum Beispiel den Rot-Blauen-Stuhl des niederländischen Designers Gerrit Rietveld (1888-1964) - der Entwurf gilt bis heute als Ikone der Moderne - oder ein Barometer aus der viktorianischen Zeit. Gleichzeitig gibt die Sonderschau anhand von Archivbildern und -texten einen Einblick in die Geschichte der Brockensammlung, kurz Brosa genannt.
Kreativ und geschäftstüchtig waren die Brosa-Mitarbeiter vor 125 Jahren in jedem Fall: Aus altem Papier stellten sie stabile Säcke her, Knochen zerkleinerten sie zu Dünger oder nutzen sie, um Seife zu machen. Dosen wurden plattgewalzt und zu Blechspielzeug verarbeitet, Altmetall an Händler und zerbrochenes Glas an Glashütten verkauft. Heute würde man das »Upcycling« nennen, sagt Bitter.
Schon damals kamen Spenden aus ganz Deutschland. Die Brockensammlung wuchs schnell und bildete immer neue Zweige aus, zum Beispiel Werkstätten und Läden, um Sachen zu reparieren und zu Geld zu machen. Mit den Einnahmen finanzierte Bethel die Arbeit für kranke und behinderte Menschen. Gleichzeitig hatten Bethel-Bewohner eine sinnvolle Aufgabe.
Gebrauchtes wiederverwerten und Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung geben, sind auch heute noch die zwei Säulen der Brockensammlung. Inzwischen machen Altkleider den größten Teil des Umsatzes aus. Der Geschäftszweig habe sich seit den Wirtschaftswunderjahren entwickelt, erzählt Brosa-Leiter Diakon Rüdiger Wormsbecher. Seit den 1960er Jahren arbeitet Bethel mit Kirchengemeinden zusammen, bundesweit sammeln rund 4.500 Gemeinden für die Brockensammlung.
Etwa 9.500 Tonnen Altkleider kommen pro Jahr am Standort Sarongweg in Bielefeld-Bethel zusammen. Ein Teil davon wird in den betriebseigenen Brosa-Läden an die Kunden gebracht, der Rest wird an zertifizierte Recycling-Betriebe verkauft und kommt in den weltweiten Secondhand-Handel. »Aber zu transparenten Bedingungen«, betont Wormsbecher. Die Brockensammlung ist Mitglied im Dachverband »FairVerwertung«. Die Kleidung soll auch nach dem Verkauf nach ethischen und ökologischen Standards verwertet werden, so der Anspruch.
Neben Kleidung geben die Menschen auch Geschirr, Bücher, alte Möbel und anderen Hausrat ab. Die 70 Mitarbeiter, darunter Menschen mit Handicap und ehemalige Langzeitarbeitslose, prüfen und sortieren die Spenden. Sammeltassen, Kinderspielzeug, antike Möbel, Vasen, Geigen und wertvolle Bibeln finden sich auf den Verkaufstischen. Das Stöbern auf dem Brosa-Basar gleicht einem Besuch auf einem großen Flohmarkt.
Um den Wert der Gegenstände richtig einzuschätzen, gibt es im Brosa-Team Fachleute für fast jeden Bereich. Im Zweifelsfall zieht Rüdiger Wormsbecher externe Experten hinzu: »Jeder darf bei uns ein Schnäppchen machen, aber keiner soll über uns lachen, weil wir den Wert eine Sache nicht erkannt haben.« Findet sich kein Kunde in Bielefeld, werden wertvolle Dinge auf Fachauktionen angeboten. Über die Erlöse schweigt Bethel. Die Brockensammlung hat über die Jahre immer genug Geld abgeworfen, um sich selbst zu tragen, sagt Historikerin Bärbel Bitter dazu.
Im nächsten Jahr zieht die Brockensammlung an einen größeren Standort in Bielefeld-Bethel um. Die verwinkelte Gebäudesammlung am Sarongweg ist zu eng geworden. Ein 3,6 Millionen Euro teurer moderner Neubau entsteht zurzeit an einem nah gelegenen Standort im Stadtteil, Mitte 2016 soll er bezugsfertig sein. »Die Arbeitsbedingungen werden dort besser sein«, sagt Wormsbecher, »wir bemühen uns aber auch, den Charme der Brosa hinüberzuretten.« So zieht auch der Bibelvers »Sammelt die übrigen Brocken, auf das nichts umkomme« - der 125 Jahre lang als Schriftzug über dem alten Brosa-Gebäude hing - mit um.
Die Ausstellung »Schätze aus der Brosa« ist vom 6. September bis 15. November in der Historischen Sammlung Bethel zu sehen, Öffnungszeiten: sonntags bis donnerstags 15 bis 18 Uhr. Ein Upcycling Markt mit Künstlern ist zur Eröffnung am 6. September von 13 bis 18 Uhr geplant. Am 29. Oktober wird das Jubiläum mit einem Festakt in der Neuen Schmiede in Bethel gefeiert. (epd/Silke Tornede)
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