Präses Annette Kurschus über Grundsätze und seelsorgerliche Gründe
Kirchliche Trauung ohne Kirchenmitgliedschaft
Die Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Franca Lehfeldt sorgt bundesweit für Aufmerksamkeit. Sie wurden in einer evangelischen Kirche auf der Insel Sylt kirchlich getraut, obwohl beide – dem Vernehmen nach – nicht Mitglieder der Kirche sind.
In einem Interview mit dem in Bielefeld erscheinenden ‚Westfalenblatt‘ verweist Präses Annette Kurschus auf die Rechtslage, die Bedeutung von Sakrament und Segen und seelsorgerliche Beweggründe:
Westfalenblatt: Die evangelische Kirche St. Severin auf Sylt war nicht die bloße Kulisse einer weltlichen Hochzeitsfeier, sondern Ort einer kirchlichen Trauung durch eine Pastorin – obwohl Bräutigam Christian Lindner und Braut Franca Lehfeldt aus der Kirche ausgetreten waren. Das führt nun zu Diskussionen – auch innerhalb der evangelischen Kirche. Was denkt Annette Kurschus, die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und seit November EKD-Ratsvorsitzende über das Geschehen?
Annette Kurschus: Eine Meinung habe ich nur zu Dingen, deren Sachverhalt ich genau kenne. Ich weiß zum Beispiel nicht genau, ob Herr Lindner oder Frau Lehfeldt vor der Trauung Kirchenmitglieder waren oder wurden. Zu den Aufgaben im Traugespräch gehört ja ausdrücklich, die Möglichkeit eines Kircheneintritts anzusprechen. Insofern habe ich Grundsätze, aber keine Meinung. Bevor ich die darlege: Erst einmal herzlichen Glückwunsch an das Ehepaar Franca Lehfeldt und Christian Lindner! Ich wünsche den beiden, dass sie glücklich bleiben und dass ihre Liebe, die jetzt so im Rampenlicht steht, im grauen Alltag Bestand hat.
Die Pfarrerin in Keitum hat entschieden, die beiden zu trauen, und ich muss ihr vertrauen, dass sie dies nach dem Gespräch mit dem Paar nach reiflichem Nachdenken getan hat. Ein solches Gespräch unterliegt der seelsorglichen Verschwiegenheit. Wir wissen nicht, was Herr Lindner und Frau Lehfeldt erklärt haben. „Seelsorgliche Gründe“ sind allerdings keine Allerweltsgründe. Es wäre verantwortungslos sie zu banalisieren. Sonderangebote für Reiche und Wichtige zu machen ist nicht unser Ding, und das wird es auch nie sein.
WB: Auf der Seite der Ev. Landeskirche von Westfalen steht zu den Folgen eines Kirchenaustritts unter anderem: „Sie können nicht in einer Kirche heiraten“. Entsteht jetzt nicht der Eindruck, dass man zwar die Kirchensteuer sparen, aber bei Bedarf kirchliche Sakramente wie ein „Event“ buchen kann?
Kurschus: Was auf unserer Homepage steht, ist die Rechtslage auch in der Nordkirche. Es gibt einzelne Fälle, in denen eine Pfarrperson aus besonderen seelsorglichen Gründen davon abweicht und dies mit ihrem Gewissen vertritt. Leider ist im Fall der prominenten Trauung des Ehepaars Lindner und Lehfeldt der von Ihnen genannte Eindruck entstanden. Dass man in Medien jetzt das Wort „Lindner-Zeremonie“ liest, wo ein Gottesdienst gemeint ist, ist ungut. Wir sind beileibe nicht knauserig mit Gottes Gaben. Aber fest steht: Sakrament und Segen sind niemals eine Ware, die wir wohlfeil anbieten. Ich möchte allerdings ergänzen, dass eine Trauung in der evangelischen Kirche kein Sakrament ist. Die Ehe sei ein „weltlich Ding“, hat Martin Luther gesagt.
In einem Traugottesdient wird die Bibel ausgelegt, wir beten für das Paar und segnen es und die Partner bekräftigen öffentlich, dass sie verlässlich, verbindlich, treu und in Liebe zusammenleben wollen.
WB: Würden Sie denn ein Paar trauen, das sich bewusst gegen eine Mitgliedschaft in der Kirche entschieden hat?
Kurschus: Nein, ich sehe mich an die Ordnung unserer Kirche gebunden. Aber als Christin, zumal als evangelische Christin, die zur Freiheit berufen ist, würde ich aus erwähnten schwerwiegenden seelsorglichen Gründen Barmherzigkeit über das Recht stellen. Ich will ein Beispiel nennen, um das zu veranschaulichen. Menschen, die Gewalterfahrungen in der Kirche gemacht haben, sind nicht immer dem Glauben und dem Gottesdienst feind. Sie haben manchmal sehr ambivalente Haltungen. Es kann sein, dass jemand, dem Leid angetan wurde durch einen Pfarrer, trotzdem den Wunsch hat kirchlich zu heiraten, aber beschlossen hat, dass er nicht mehr zur Institution Kirche gehören und keinen Cent mehr an sie zahlen will. In solch einem Fall würde ich zum Beispiel, auch wenn der Partner oder die Partnerin dieses Menschen kein Kirchenmitglied ist und also kirchenrechtlich eine kirchliche Trauung zu versagen ist, eine solche vornehmen.
WB: Wäre eine Trauung auch für jeden anderen Ausgetretenen möglich gewesen?
Kurschus: Wie gesagt, jede Trauung ist einzigartig, ob bei Lindner und Lehfeldt oder bei jedem anderen, weil sie alle einzigartige Menschen mit ihren Geschichten sind. Und jedes Mal gilt es nach dem Recht unserer Kirche zu handeln und zugleich Anfragen, denen dieses Recht entgegensteht, nicht einfach abzutun, sondern sorgfältig zu betrachten und verantwortungsvoll zu entscheiden.
WB: Ist folglich auch eine kirchliche Bestattung trotz Kirchenaustritts möglich?
Kurschus: Sie ist schon lange möglich. Denn Tote zu bestatten, gehört im christlichen Glauben zu den sieben Werken der Barmherzigkeit. Von den Toten ist, anders als bei der Trauung, kein Versprechen und kein Ja-Wort gefragt. Ich zitiere wieder aus der Ordnung unserer Kirche: „Verstorbene, die nicht oder nicht mehr Glieder der evangelischen Kirche waren, können ausnahmsweise kirchlich bestattet werden, wenn dies aus seelsorglichen Gründen angezeigt erscheint. Eine kirchliche Bestattung findet nicht statt, wenn die Verstorbenen sie ausdrücklich abgelehnt haben.“
Ich habe in meiner Zeit als Pfarrerin immer nach den Gründen geforscht, warum Angehörige eine kirchliche Trauerfeier wollten. Es gibt viele Fälle, in denen es ein tiefer Wunsch der Familie ist, dass ihr geliebter Verstorbener mit christlicher Hoffnung, Gebet und Segen auf den letzten Weg gegeben wird. Wenn Angehörige gleich mit dem Angebot kamen, eine große Spende zu machen, hat mich das misstrauisch gemacht. Eine kirchliche Amtshandlung ist grundsätzlich kostenlos, auch für Herrn Lindner und Frau Lehfeldt übrigens.