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Präses Annette Kurschus sprach in Münster über Friedens- und Wirtschaftsethik

Gegen die Logik des Gewinnens und Verlierens

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seinem Leben?“ Auf das Jesus-Wort (Matthäus 16,26) verwies Annette Kurschus wiederholt in ihrem Vortrag im Plenarsaal des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe in Münster.

Angekündigt war „eine Zeitansage in Krieg und Krise“, die die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland dem Auditorium präsentieren sollte. Eingeladen hatte der Verein Westfalen e.V., dessen Einladung zahlreiche Gäste aus Münster und Umgebung gefolgt waren. Unter den Zuhörer*innen war auch der Präsident des nordrhein-westfälischen Landtags André Kuper.

Christliche Ethik indes, das stellte Annette Kurschus klar, sei nicht dazu da, den Menschen das Denken abzunehmen und ihnen die Antworten in den Mund zu legen. „Sie ist dazu da, ihnen Orientierung fürs eigenständige Denken zu geben, und ihnen zu helfen, ihre eigenen Meinungen zu bilden“, so die Präses.

Solche Orientierungen bot Kurschus dem Münsteraner Auditorium in vielfältiger Weise. Sie weigere sich aber, „die komplizierte Wirklichkeit simpel zu machen“ und ihre „Antworten auf komplizierte Fragen einzudampfen auf ein verkürzendes Ja – Nein, Entweder – Oder.“

So sehe sie in militärischer Gewalt, wie aktuell im Ukraine-Konflikt, die ultima ratio, um tödliche Bedrohung abzuwehren und drohender Tyrannei Einhalt zu gebieten. Dennoch könne und werde sie nie sagen, dass sie Krieg und Waffenlieferungen gutheiße oder begrüße. Zudem gelte: „Verteidigung und Nothilfe – darin gibt es allerdings kein Vertun – sind aus Sicht unseres Glaubens strikt an die Aufgabe gebunden, für Recht und Frieden zu sorgen“, so die Präses.

Annette Kurschus wandte sich gegen eine Logik des Gewinnens und Verlierens. „Das einzige, was gewonnen werden kann und wiedergewonnen werden muss, ist der Friede“, sagte sie. 

Jesu Frage nach der Relation von Gewinn und Schaden bezog die leitende Theologin auch auf die Art und Weise des Wirtschaftens. In ökumenischem Geist zitierte sie Papst Franziskus, der in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ von 2013 formuliert hatte: „Diese Wirtschaft tötet.“ Gemeint sei eine Form der Wirtschaft, die nur nach dem Recht des Stärkeren funktioniere. Eine solche Wirtschaft dränge große Massen der Bevölkerung an den Rand und schließe sie aus, hatte der Papst angemahnt. Es sei dies zudem ein Wirtschaften, das letztlich auch den Ast absäge, auf dem seine eigenen Akteure säßen, ergänzte Kurschus.

Die westfälische Präses und EKD-Ratsvorsitzende postulierte in diesem Zusammenhang erneut eine deutliche Entlastung für alle Menschen, die in besonderer Weise unter den gegenwärtigen Folgen der Inflation und den aus dem Ruder laufenden Energiekosten leiden. Dies seien insbesondere Rentner und Rentnerinnen und alle, die Transferleistungen beziehen. „Damit die Menschen in unserem Land zusammenhalten und die Demokratie lebendig bleibt, kommt es jetzt darauf an, diejenigen in den Blick zu nehmen, die ein geringes bis durchschnittliches Einkommen haben“, zeigte sich Annette Kurschus überzeugt. Sie forderte eine Mitverantwortung all derer, die über größere Einkommen und Vermögen verfügten. „Starke Schultern können und müssen mehr tragen“, sagte die Präses. „Das ist ein zentraler Grundsatz unseres Glaubens und auch der sozialen Marktwirtschaft.“

Konkret forderte Annette Kurschus, umgehend ein zielgenaues und wirksames Entlastungspaket für die betroffenen Menschen in Deutschland zu schnüren. „Die Maßnahmen müssen jetzt politisch umgesetzt und gegenfinanziert werden von denen, die das leisten können und womöglich sogar von den diversen Krisen profitieren“, so das Postulat der Präses und Ratsvorsitzenden an Verantwortungtragende in der Politik.

„Ich spreche zu Ihnen als Theologin, als Frau der Kirche mit Leitungsverantwortung“, so Kurschus in ihrer Ansprache an die Münsteraner Zuhörerinnen und Zuhörer. Die Aufgabe von Kirchenleuten sei eine andere als die von Politiker*innen. „Wir haben eine Perspektive jenseits und frei vom Reiz-Reaktions-Zwang einzunehmen“, sagte sie. Das habe eine andere Würde und Bürde, sei auf andere Weise Macht und Ohnmacht zugleich. „Es ist eine andere Verantwortung, die wir kirchlicherseits haben, aber es ist auch: Verantwortung.“ Klar und zur Sache solle kirchliche Rede sein, „klar in der Parteilichkeit für die Gebeutelten, Armen und Leidtragenden, und klar auch darin, Dilemmata und Illusionen zu benennen.“

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Datum: 31.08.2022