Unsere aktuellen Nachrichten
auf einen Blick
Rüdiger Schuch: Der frühere Beauftragte bei der Landesregierung und neue Diakonie-Präsident im Interview

„Für die Würde aller Menschen eintreten und ihnen zu ihren Rechten verhelfen“

Zum 1. Januar hat Rüdiger Schuch das Amt des Präsidenten der Diakonie Deutschland übernommen. Zuvor war er der gebürtige Westfale drei Jahre lang Beauftragter der evangelischen Kirchen von Westfalen, Lippe und im Rheinland bei der NRW-Landesregierung. Im Interview beschreibt er sein Ankommen im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE), sagt, was ihm am Herzen liegt, und stellt sich persönlich vor.

Herr Schuch, seit Jahresbeginn sind Sie der Präsident der Diakonie Deutschland. Wie war das Ankommen im EWDE in Berlin?
Ich bin im Evangelischen Werk mit großer Offenheit und Herzlichkeit empfangen worden. Auch mit der Bereitschaft der Kolleg:innen, mir die Strukturen und Prozesse und die vielfältigen inhaltlichen Themen näher zu bringen, meine Fragen zu beantworten, mir den Einstieg leicht zu machen. Dafür an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die dazu beigetragen haben. Es war gut, dass ich mir schon im November und Dezember Zeit für die ersten Gespräche und Begegnungen hier im Haus und auch mit Mitgliedsverbänden der Diakonie nehmen konnte.

Ganz praktisch klappt die Orientierung in unserem Gebäude schon sehr gut, ich finde von A nach B. Was die Orientierung in dieser komplexen Organisation angeht, so ist mir vieles aus anderen Zusammenhängen vertraut, aber es hält trotzdem bisher jeder Tag überraschend Neues bereit: neue Themen, neue Namen, neue PC-Programme, neue Abkürzungen und auch neue Baustellen und Aufgaben, die bearbeitet werden wollen. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, auf unsere gemeinsamen Lern- und Arbeitsprozesse und darauf, als Präsident der Diakonie Deutschland zur Weiterentwicklung unseres Werkes beizutragen. Wir haben einen Auftrag für die Mitgestaltung einer offenen, sozial gerechten und nachhaltigen Gesellschaft. Und dieser Verantwortung möchte ich, mit Ihnen zusammen, gerecht werden.

Sie haben von 2014 bis 2019 als Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Perthes Stiftung gearbeitet, einem großen überregionalen Träger im Bereich des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen. Gibt es diakonische Handlungsfelder, die ihnen persönlich besonders am Herzen liegen?
Die Angebote der Perthes-Stiftung richten sich schwerpunktmäßig an ältere und pflegebedürftige Menschen, an Menschen mit Behinderung sowie an Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Diese diakonische Arbeit ist mir daher besonders vertraut und ich habe mich sehr gern in diesen Bereichen engagiert. Dabei war und ist wichtig, klar nach innen und außen Rechenschaft abzulegen, aber auch zu kommunizieren, wie wir diakonisch arbeiten: die Menschen – vielfältig, talentiert, zerbrechlich, von Gott angesehen und gewürdigt – in den Mittelpunkt zu stellen und sie so zu begleiten und zu unterstützen, wie sie es brauchen. Ob es uns immer gelingt, ist natürlich eine andere Frage. Den notwendigen wirtschaftlichen Überlegungen geht der diakonische Impuls voraus, für die Würde aller Menschen einzutreten und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Mir liegt am Herzen, dass wir die vielen sozialen Schieflagen und gesellschaftlichen Aufgaben – von Pflege und Gesundheit bis (Kinder-) Armut, von Asyl- und Flüchtlingspolitik bis zum freiwilligen Engagement, von Beratungsangeboten bis zur Demokratieförderung – mit diesem diakonischen Spirit angehen.

Von 2020 bis in den Herbst 2023 leiteten Sie das Evangelische Büro NRW in Düsseldorf und vertraten dort die Landeskirchen im Rheinland, von Westfalen und Lippe bei der Landesregierung und dem Landtag von Nordrhein-Westfalen. Worauf legen Sie bei der politischen Lobbyarbeit besonderen Wert? Wann ist es Zeit, in öffentliche Auseinandersetzungen zu gehen?
Politiker:innen brauchen Partner:innen, denen sie vertrauen können. Die Kirchen befinden sich derzeit wohl in einer ihrer größten Vertrauenskrisen. Davon nicht unberührt ist und wird zukünftig auch die Diakonie sein. Daher ist das Werben um Vertrauen und die Vermittlung der Vertrauenswürdigkeit derzeit eine der zentralen Aufgaben kirchlicher Lobbyarbeit. Vertrauen ist aus meiner Sicht die Basis für eine erfolgreiche politische Arbeit. An unsere Lobbyarbeit habe ich den Anspruch, dass sie die Interessen sowohl benachteiligter Menschen als auch der diakonischen Arbeit und der Mitarbeitenden vertritt, und in diesem Sinne klar und eindeutig parteiisch ist. Ich lege Wert darauf, die politischen Adressat:innen und ihre Handlungsoptionen dabei klar im Blick zu haben und mögliche konkrete, umsetzbare Lösungen aufzuzeigen. Kompromisse sind in einer Demokratie notwendig, aber auch die kritische und in entscheidenden Fragen kompromisslose Stimme der Zivilgesellschaft.

In Bezug auf die öffentliche Auseinandersetzung finde ich es persönlich sehr sinnvoll, möglichst frühzeitig gesellschaftliche Debatten anzuregen oder mitzugestalten. Nur so können aus meiner Sicht die Argumente diskutiert, alle Aspekte beleuchtet und auch alle beteiligten und betroffenen Personenkreise ausreichend einbezogen werden. Es geht ja nicht darum, für andere politische Lösungen zu finden, sondern mit anderen.

Was wollen Sie in ihrem ersten Jahr als Präsident erreicht haben und was sind ihre langfristigeren Ziele?
Am 25. Januar werden die Ergebnisse der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie veröffentlicht. Diese bitteren Erkenntnisse, dass Menschen in der Diakonie großes Leid durch sexuelle Gewalt erfahren haben, dass entsprechende Taten nicht aufgearbeitet wurden, dass das Leid der Betroffenen nicht anerkannt wurde, beschäftigen mich sehr. Wir werden die Ergebnisse sehr genau wahrnehmen, mit den Betroffenen diskutieren und unsere Anstrengungen verstärken, in der Diakonie Präventions- und Schutzkonzepte umzusetzen. Es ist mir ein großes Anliegen, gemeinsam mit unseren Mitgliedern hier entscheidende Fortschritte zu erzielen.

2024 haben wir eine Europawahl, mehrere Landtags- und Kommunalwahlen.  Mir ist wichtig, dass wir zu den Themen, die viele Menschen in ihrem Alltag umtreiben, gut positioniert sind: zur Situation der Pflege, zur katastrophal hohen Kinderarmut, zur Integration von Geflüchteten, zur weiterhin drohenden sozialen Spaltung, zum Umgang mit rechten Positionen, zu Antisemitismus. In diese und andere Themen möchte ich mich weiter einarbeiten.

Auch nach innen gibt es sicherlich – wie in jeder Organisation – Verbesserungsmöglichkeiten: Im Zusammenwirken mit unseren Mitgliedern, im Nutzen von Potentialen und Synergien in der Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie und selbstverständlich auch bei uns im Haus. Ich bin dankbar für die Gespräche, die ich bisher habe führen können. Sie zeigen, wie professionell und zielführend wir arbeiten, aber eben auch, wo noch Potentiale liegen, wie wir unsere Arbeit besser vernetzen und wie wir effektiver werden können. Die Begeisterung der Mitarbeitenden im Haus und ihr Einsatz für die Arbeitsfelder der Diakonie beeindrucken mich sehr! Das wird auch von außen wahrgenommen.

Im EWDE treffen Sie auf viele neue Kolleg:innen von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe. Was bedeuten Ihnen diese wichtigen Arbeitsbereiche im EWDE und wo sehen Sie Schnittmengen zwischen sozialen Diensten in Deutschland, Armutsbekämpfung, ökumenischer Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Nothilfe?
Ich hatte das Glück von der Leitungsebene von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe schon eine sehr intensive und kompakte Einführung in die Arbeit der beiden Marken zu bekommen. Auch das war absolut beeindruckend. Ich bin davon überzeugt, dass wir die globalen Probleme in der Einen Welt nur gemeinsam lösen und finde, dass die Gründung des EWDE ein wirklich wegweisender Schritt war. Ich sehe die Schnittmengen durchaus. Die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen machen es ja deutlich: Jedes Land muss sich mit Blick auf diese Ziele entwickeln.

Zu guter Letzt: Was macht der Präsident der Diakonie Deutschland, wenn er nicht im Dienst ist?
Ich bin verheiratet und habe zwei erwachsene Töchter. Im Raum der Familie sich auszutauschen, gemeinsam die Zeit zu genießen ist ein hohes Gut. Das ist mir wichtig. Neben der Familie ist der Fußball eine Leidenschaft von mir. Das aktive Spielen habe ich lange schon aufgeben müssen, aber meinem Verein, dem VFL Bochum, halte ich die Treue. Leider nur noch selten im Stadion, aber immer, wenn es mir möglich ist, live am Bildschirm. Zudem lese ich gern und viel. Ich hoffe sehr, dass ich Zeit finden werde, die umfänglichen Kulturangebote in Berlin das eine oder andere Mal wahrnehmen zu können.

Zurück