Beim Gender-Seminar wurden spannende Fragen gestellt und gemeinsam nach Antworten gesucht
Flüchtlinge brauchen männliche Vorbilder
»Übte Gott wirklich nur, als sie den Mann schuf?« Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Klosterwochenende des Frauenreferats und der Männerarbeit schmunzeln, als jemand diesen Satz vorliest.
Am ersten Wochenende im Januar sind sie zusammen gekommen, um Rückschau zu halten auf das vergangene Jahr und Perspektiven zu suchen für das neue Jahr. Sie haben Symbole mitgebracht, die für Erfahrungen im vergangenen Jahr stehen. Und sie haben sich mit kreativen Methoden auf die neue Zeit eingestimmt.
Jetzt ist Fragestunde beim Gender-Seminar: Die Frauen stellen den Männern Fragen, die diese beantworten müssen. Und umgekehrt. »Wie geht ihr damit um, wenn Euer Sohn euch erklärt, dass er homosexuell ist?«, wollen die Frauen von den Männern wissen. Und die Männer fragen die Frauen, wie sie es finden, das »schöne Geschlecht« genannt zu werden.
Ernsthaft ist die Runde, persönlich, manchmal ironisch und witzig. Die Stimmung ist gelöst unter den gut 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Doch plötzlich macht sich große Unsicherheit breit: »Was hättet ihr gemacht, wenn ihr bei den Silvesterübergriffen in Köln dabei gewesen wärt? Wie geht ihr als Männer mit so etwas um?« Die Runde stockt, die Witzeleien sind vorbei. Niemand hat fertige Antworten. Alle spüren, wie heikel das Thema ist. Und zum Glück hat niemand Lust, pauschal auf »die Flüchtlinge« oder »den arabischen Mann« mit dem Finger zu zeigen.
Uns wird bewusst, dass wir in diesem Land viel erreicht haben in Sachen Geschlechtergerechtigkeit und sexueller Selbstbestimmung. Das war ein langer Weg für die Frauen und manchmal kein einfacher Gang für viele Männer. Und es bleibt immer noch eine Menge zu tun. Machogehabe und sexistisches Reden oder Handeln gibt es auch bei vielen »deutschen«, »christlichen«, »abendländischen« Männern. Frauenverachtung findet sich in so mancher Männerrunde zwischen Hamburg und Mallorca.
Und trotzdem: Wir Männer haben viel gelernt, manchmal unter Schmerzen oder beim Pinkeln im Sitzen. Jetzt ist es an uns, an die männlichen Flüchtlinge weiterzugeben, was wir verstanden haben: Frauen sind nicht das Eigentum der Männer. Mädchen dürfen kichernd über Jungs lästern und sich mit ihrem Freund treffen, ohne den Vater um Erlaubnis zu fragen. Frauen dürfen jederzeit und in jeder Situation Nein sagen zu dem, was Männer von ihnen wollen.
»Wir müssen neben Sprachkursen und warmer Kleidung auch geistige Lebensmittel in die Flüchtlingseinrichtungen bringen«, war kürzlich in der Zeitung zu lesen: »Flüchtlinge brauchen soziale Bindungen, Autoritäten, männliche Vorbilder und Begleiter.«
Wohin sich diese Gesellschaft entwickelt, das liegt nicht nur an denen, die kommen, sondern auch an denen, die schon ein bisschen länger hier leben. Und die sich gerne mal daran erinnern dürfen, dass auch in Deutschland die Vergewaltigung in der Ehe erst seit knapp 20 Jahren einen Straftatbestand darstellt. Die Herausforderung durch die vielen Flüchtlinge ist ein guter Anlass, die Frage nach dem Selbstverständnis von Frauen und Männern immer wieder neu zu stellen. Und ich bin sicher, da ist noch mancher Schatz zu heben. (Pfarrer Martin Treichel)