Unsere aktuellen Nachrichten
auf einen Blick
Kirchenleitende der VEM aus Afrika, Asien und Deutschland besuchen indigene Pfarrer*innen in Indonesien

„Wir sind der Wald!“

Zwölf Kirchenleitende aus Afrika, Asien und Deutschland besuchten vom 8. bis 17. August die Evangelische Kirche von Kalimantan (Gereja Kalimantan Evangelis, GKE) in Indonesien, um sich mit Pfarrer*innen der indigenen Dayak-Ethnie auszutauschen.

Die neuntägige Fortbildungsreise fand im Rahmen des sogenannten „Leadership Training“ der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) statt. Die Evangelische Kirche von Westfalen wurde von ihrem Kirchenleitungsmitglied Annette Salomo vertreten, die auch Vize-Moderatorin und Ratsmitglied der VEM ist. 

Ökologische Gerechtigkeit von den Dayak lernen 

Die örtliche Mitgliedskirche der VEM ist die religiöse Heimat zahlreicher christlicher Dayak in Süd-Kalimantan, die mit ca. 400.000 Menschen rund 10 Prozent der Bevölkerung in dieser Provinz ausmachen. In Indonesien leben schätzungsweise insgesamt bis zu vier Millionen Dayak. Viele von ihnen haben den christlichen Glauben angenommen. 

Das über viele Generationen hinweg überlieferte ökologische Wissen darüber, wie man die vorhandenen natürlichen Ressourcen für das eigene Überleben nutzt, ohne diese zu zerstören, wird von den Dayak bis heute bewahrt. Die GKE-Kirche hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Wissen ihrer Dayak-Mitglieder über ökologische Gerechtigkeit in ihre Theologie aufzunehmen und für die Kirche so anwendbar zu machen. In seinem Vortrag brachte Pfarrer Dr. Kinurung Maleh, Mitglied der GKE-Kirchenleitung und selbst Angehöriger der Dayak-Ethnie, die symbiotische Beziehung seiner Volksgruppe mit der Natur auf die Formel: „Wir leben nicht im Wald, wir sind der Wald!“ Angesichts des Klimawandels und seiner Folgen sei es jetzt an der Zeit, das vorhandene ökologische Wissen der indigenen Völker ernst zu nehmen und möglichst weitreichend anzuwenden, so seine Forderung. In seiner Präsentation über kulturelle Symbole in Süd-Kalimantan veranschaulichte Pfarrer Dr. Keloso Ugak, Dozent an der theologischen Universität STT der GKE, die Bedeutung des Waldes für seine Ethnie wie folgt: „Der Wald ist für uns Dayak Supermarkt, Tempel, Schule und Bank zugleich.“ 

Waldrodungen bedeuten das Ende der Dayak

Ir. Nyelong Inga Simon, Vorsitzende der nationalen Vereinigung der Dayak-Frauen in Indonesien, machte deutlich, dass die zunehmenden Waldrodungen das Ende ihrer traditionellen Zeremonien und damit ihrer Existenz einläuteten. Für die Dayak wie für alle anderen indigenen Gruppen sei es zudem schwierig, ihre Rechte an den Wäldern durchzusetzen, da die Eigentumsrechte oftmals nur mündlich überliefert und nicht schriftlich dokumentiert seien. Nach Aussage der Dayak-Vertreterin wehrten sich mittlerweile die Dayak gegen die von ihnen erfahrene Übervorteilung und Rechtlosigkeit.  
Dazu sei es laut Pfarrer Maleh notwendig, der indigenen Bevölkerung gute Bildungschancen zu ermöglichen, um sie so in die Lage zu versetzen, ihre Interessen und Rechte gegenüber lokalen und nationalen Regierungsstellen erfolgreich durchzusetzen. Dies werde mit Blick auf den für 2024 geplanten Umzug des Regierungssitzes von Jakarta nach Kalimantan umso wichtiger, da diese Entwicklung auch weitere Investoren in die Region locken werde. 

Historische Mission und die Kultur der Dayak

Die Frage nach den Auswirkungen der historischen Mission auf die Kultur der Dayak wurde ebenfalls behandelt. Die GKE gedenkt bis heute ihrem Gründungsvater, Pfarrer Johann Heinrich Barstein, der im Jahr 1835 von der Rheinischen Missionsgesellschaft nach Banjarmasin ausgesendet wurde. Die Kirchenleiterin der GKE, Pfarrerin Simpon F. Lion, erläuterte, dass es Missionare aus Deutschland und muslimische Missionare waren, die die Sklaverei und Kopfjagd in Kalimantan abschafften. Die deutschen Missionare legten außerdem den Grundstein für die heutigen Arbeitsfelder Bildung, Landwirtschaft und Gesundheitsfürsorge der Kirche. „Zugleich haben wir viele unserer Traditionen und Bräuche als christliche Dayak beibehalten und darauf sind wir stolz,“ so Pfarrer Maleh von der GKE. Eine weitere Besonderheit der Dayak-Kultur ist die spirituelle Rolle der Frau. Sie ist es, die für die Familie betet und wesentliche religiöse Funktionen übernimmt. Dies spiegelt sich auch in der Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Kirche wider. Die GKE ordiniert bereits seit 1962 Frauen für den Pfarrdienst. Bis heute gilt die Kirche mit einer Theologin an ihrer Spitze und einer überwiegend weiblichen Leitung als Ausnahmeerscheinung in Asien und darüber hinaus.

Christlich-muslimische Familien unter einem Dach

In dem asiatischen Inselstaat mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung agiert die christliche Minderheit oftmals in einem schwierigen Umfeld. Je nach Region berichten Kirchenleitende beispielsweise davon, dass Behörden Baugenehmigungen für neue Kirchengebäude nur zögerlich erteilten. Dass das friedliche Zusammenleben zwischen Christ*innen und Muslim*innen in Banjarmasin an der Basis gelingt, unterstrich Prof. em. Dr. M.P. Lambut von der örtlichen Universität Lambung Mangkurat in einem gemeinsamen Vortrag mit Dr. Ilham Masykuri Hamdie, Bezirksleiter des landesweiten Rats für interreligiöse Zusammenarbeit. Der christliche Professor Lambut und der muslimische Referent Hamdie präsentierten Beispiele für die traditionelle Akzeptanz zwischen Christ*innen und Muslim*innen in einem Land, das von einer großen Vielfalt an Volksgruppen und Religionen gekennzeichnet ist. „Mein Sohn ist Muslim. Soll ich mein Kind deswegen nicht mehr lieben? Es gibt so viele christlich-muslimische Familien in Indonesien, die friedlich unter einem Dach zusammen leben, “ so der 92jährige Professor. 

Westfälische Kirche unterstützt Dayak-Kirche konkret

Im vergangenen Jahr unterstützte die Westfälische Kirche die GKE über die VEM mit insgesamt 20.000,- Euro. Zu den geförderten Projekten gehörte beispielsweise die Stärkung indigener Volksgruppen. Ziel war es, diese Gruppen in die Lage zu versetzen, an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen aktiv teilzunehmen und mitzugestalten. Dazu erhielten mehr als 100 Dayak und Vertreter*innen weiterer indigener Gruppen im Rahmen von fünf Veranstaltungen einen Einblick in die politischen, soziokulturellen, ökologischen, wirtschaftlichen und religiösen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Umzug des Regierungssitzes von Jakarta nach Ost-Kalimantan. Darüber hinaus förderte die EKvW die VEM-Mitgliedskirche bei der Erstellung einer wissenschaftlichen Studie über die Folgen des Regierungsumzugs für die Menschen vor Ort. Hierzu wurden quantitative Interviews mit Einheimischen, darunter auch Kirchenmitgliedern, geführt.

„Wir erleben hier eine Kirche, die das traditionelle Wissen der Dayaks in ihre Theologie aufgenommen hat. Die intensive Verbindung zur Natur, die Lebensgrundlage der Menschen, hat über Generationen dafür gesorgt, die Natur als Schwester, Bruder, Mutter, Vater zu begreifen. Jede Entscheidung, in die Abläufe der Natur einzugreifen, ist wohlüberlegt, nachhaltig und mit Zeremonien verbunden. Das wird in der „Eco Theologie“ in allen Bereichen der kirchlichen Arbeit, von dem Theologischen Seminar bis zur Kirchengemeinde, überzeugend gelebt. Im Rahmen der dramatischen Veränderungen unseres Klimas und unserer christlichen Verantwortung, als Kirche darauf zu reagieren, können wir sehr viel von den Dayaks und der hiesigen protestantischen Kirche, GKE, lernen,“ 
so Annette Salomo.

Leadership Training für Kirchenleitungen aus Deutschland

Das nächste Leadership Training für Kirchenleitende aus der VEM-Gemeinschaft wird voraussichtlich im Herbst 2024 in China stattfinden und die diakonische Arbeit christlicher Organisationen vor Ort in den Blick nehmen.

Zurück