Militärpfarrer Ekkehart Woykos war dabei, als Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet wurden
Um die Retter kümmern
Als von der Taskgroup Seenotrettung im Mittelmeer die ersten Flüchtlinge gerettet wurden, war der evangelische Militärpfarrer Ekkehart Woykos mit an Bord der Fregatte »Hessen«. Hier sein Bericht.
Das Starten der Gasturbine weckt mich: Es ist das erste Zeichen, dass die italienische Küstenwache Flüchtlingsboote gemeldet hat: Wir müssen schnell dorthin gelangen, da reicht der übliche Dieselantrieb nicht. Mit der Fregatte »Hessen« sind wir vor der libyschen Küste, einem Gebiet etwa so groß wie Deutschland. Die Mission: Flüchtlinge retten. Die italienische Seenotleitstelle gibt Positionen durch, an denen Flüchtlingsboote vermutet werden. Es gibt Tage, an denen wir bis zu sieben solcher Positionen erreichen – und dort sind es manchmal gleich mehrere überfüllte Boote.
Wer die Schlauchboote sieht, die trotz absolut glatter See gefährlich schwanken, weiß: Eine Fahrt übers offene Meer würden diese Menschen nicht überleben! Auch wenn der Besatzung dann ein 14-Stunden-Arbeitstag bevorsteht, weiß jeder an Bord, wo sein Platz und was zu tun ist. Alle arbeiten unter Hochdruck, doch die Abläufe der Rettungsaktionen sind inzwischen eingeübt.
Alle sind eingebunden
Speedboote bringen die Geretteten vom Schlauchboot zu Rettungsinseln an unserem Schiff. Während die ersten an Bord geholt und versorgt werden, fahren die Speedboote gleich wieder raus, um die nächsten Menschen zu retten. Manchmal springen die verängstigten Flüchtlinge nämlich schon aus ihren Booten, wenn Rettung naht – obwohl sie nicht schwimmen können. Dann muss alles noch schneller gehen. Frauen und Kinder werden immer als Erste aus den Booten geborgen, das Schutzempfinden gegenüber Kindern ist bei den Soldaten besonders ausgeprägt.
Eine neue Art von Einsatz
Die Speedbootfahrer tragen Schutzanzüge mit Mundschutz, Schutzbrille, Handschuhen und ihre Schutzwesten. So regelrecht verpackt sind sie vier oder mehr Stunden lang pausenlos und hochkonzentriert damit beschäftigt, Menschen zu retten. Andere Soldaten helfen den Geretteten in der prallen Sonne aufs Flugdeck, führen erste medizinische und Sicherheitschecks durch. Das alles ist für die beteiligten Soldaten nicht nur eine körperliche Herausforderung, sondern auch psychisch schwierig. Deshalb gibt es für sie eine Ruhezone an Deck.
Schokoriegel und Getränke
Dort stehen der Truppenpsychologiefeldwebel und ich für die Soldaten bereit, bis die Rettungsaktion vorüber ist. Wir verteilen Schokoriegel und Getränke, sprechen behutsam mit den Soldaten über ihre Erlebnisse. Sie schätzen es, dass jemand jetzt für sie da ist und für sie sorgt. Erst wenn klar ist, dass alle sicher auf der Fregatte sind, entspannen sie sich: Alles ist gut. Dann können sie die Ereignisse der letzten Stunden verarbeiten.
Das schweißt zusammen
Etwa 80 bis 100 Mann haben direkten Kontakt mit den Geretteten: neben den Speedbootfahrern auch Ärzte, Übersetzer sowie Soldaten zur Aufsicht, Sicherung und Betreuung. Beispielsweise dürfen die Geretteten nicht ins Schiffsinnere, um die Besatzung vor übertragbaren Krankheiten zu schützen. Und die Essensausgabe an Bord muss so geregelt sein, dass nicht alle gleichzeitig nach vorn laufen. Die gesamte Crew erlebt also die Besonderheit dieses Einsatzes – auch die, die nicht unmittelbar mit den Geretteten zu tun haben: die noch größere Enge als ohnehin an Bord, die Masse an Menschen, sichtbare Spuren von Gewalt, man sieht elternlose Kinder, hört ihre Geschichten. Das schweißt noch mehr zusammen.
»Gut, dass ihr da seid«
Als Truppenpsychologiefeldwebel und Seelsorger begegnen wir den Soldaten oft im Schiff, können auch noch Stunden oder Tage später nachfragen, wie es ihnen geht, wie sie mit den Bildern, Geräuschen oder auch Gerüchen umgehen. Weil wir beide eng zusammenarbeiten und uns auch austauschen, kann ich selbst alles gut verarbeiten und die Soldaten weiter bei ihrer Hilfe unterstützen. Der Satz eines Hauptgefreiten ist wie das größte Lob für mich: »Gut, dass ihr da seid. Wir kümmern uns um die Geretteten und ihr kümmert euch um uns!«
Nach der Rettung aus Seenot übergeben wir die Menschen in einem süditalienischen Hafen an die Behörden und das Rote Kreuz. Demnächst geht es noch einmal raus, um Menschen aus Seenot zu retten.
Erschienen in <link http: www.js-magazin.de _blank external-link-new-window externen link in neuem>JS-Magazin – Die Evangelische Zeitschrift für junge Soldaten, 10/2015
So geht's weiter
Von Ende Oktober bis Anfang Februar ist Ekkehart Woykos, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen, als Militärseelsorger zu seinem zweiten Einsatz im Mittelmeer unterwegs. Auf der Fregatte »Augsburg« und dem Einsatzgruppenversorger »Berlin« betreut er die Marinesoldaten, die an der Operation Sophia (EUNAVFOR MED) beteiligt sind. In der belastenden Situation der Seenotrettung steht er ihnen als Seelsorger zur Seite.
In dieser zweiten Phase der Mittelmeer-Mission der Europäischen Union ist das Ziel, Schleuserkriminalität aktiv zu bekämpfen. Dafür dürfen dann Schiffe und Boote, bei denen der Verdacht auf Menschenschmuggel besteht, in internationalen Gewässern gesucht, aufgebracht und beschlagnahmt werden – auch unter dem Einsatz von Waffen. Davon unabhängig bleibt die Rettung von Schiffbrüchigen weiter Auftrag der eingesetzten Marinekräfte.
Die Operation ist benannt nach dem Flüchtlingsbaby Sophia, das am 24. August auf der im Mittelmeer eingesetzten Fregatte »Schleswig-Holstein« geboren wurde.