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Interview mit Kirchenrätin Daniela Fricke und Landeskirchenrätin Barbara Roth

„Kirchengemeinden und Einrichtungen müssen sichere Orte sein“

SynodeAKTUELL Nr. 5a
 

Kirchenrätin Daniela Fricke, landeskirchliche Beauftragte für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung, sowie die zuständige Juristin, Landeskirchenrätin Barbara Roth, zu Kernpunkten und Hintergründen des neuen „Kirchengesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“, individuellen Anerkennungsleistungen und konkreten Hilfsangeboten.

1. Die Evangelische Kirche von Westfalen engagiert sich ja nun schon lange für den Schutz vor und den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung. Warum braucht es dafür ein eigenes Kirchengesetz?

Daniela Fricke: Unserem kirchlichen Auftrag gemäß müssen Kirchengemeinden und Einrichtungen mit ihren Angeboten sichere Orte sein, in denen Menschen ermutigende und stärkende Erfahrungen für ihr Leben machen können. Beziehungen gestalten sich im verantwortungsvollen Umgang mit Nähe und Distanz. Wir begegnen einander achtsam. Sexualisierte Gewalt in allen Formen – von Grenzverletzungen bis hin zu schweren Straftaten – bewirkt aber das genaue Gegenteil. Das Kirchengesetz setzt Schutz vor und Umgang mit sexualisierter Gewalt überall auf die Tagesordnung. Prävention wird zur verpflichtenden Regelaufgabe aller leitenden Gremien. Indem wir das Gesetz konsequent umsetzen, füllen wir unsere Haltung mit Leben.


2. Was sind die Kernpunkte des neuen „Kirchengesetztes zum Schutz vor sexueller Gewalt“?

Barbara Roth: Kernstück des Gesetzes ist die Verpflichtung aller kirchlicher Körperschaften unserer Kirche, für ihren Wirkungsbereich passgenaue Schutzkonzepte zu erarbeiten. Das heißt, die Leitungsverantwortlichen starten vor Ort einen Organisationsentwicklungsprozess. An dem sind die beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden beteiligt und werden mit dem Thema befasst. Sie untersuchen die Abläufe in allen Bereichen ihrer Organisationsstruktur, erstellen eine sogenannte Risikoanalyse, erarbeiten einen Interventionsplan für den Ernstfall und werden fortgebildet. Mit dem sich verbreitenden Wissen um die speziellen Risiken in der eigenen Einrichtung, Täterstrategien, die Bedürfnisse und die Not von Betroffen werden eine innere Haltung und Aufmerksamkeit entstehen, die immer weniger Raum für unangemessenes sexuelles Verhalten bzw. konsequent auf solches Verhalten reagieren lassen. Flankiert wird die Arbeit an Schutzkonzepten, die ja durch das Gesetz verbindlich zu erfolgen hat, durch verschiedene Einzelmaßnahmen. So untersagt das Abstinenzgebot beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden sexuelle Kontakte, wenn sie zu einer Person in einem besonderen Macht- oder Vertrauensverhältnis stehen. Wer wegen einer Sexualstraftat verurteilt wurde, kann künftig keine Tätigkeit im kirchlichen Kontext mehr aufnehmen. Dazu enthält das Gesetz einen Einstellungsausschluss. Um diesen sicherstellen zu können, müssen beruflich wie ehrenamtlich Tätige bei Einstellung und danach in regelmäßigen Abständen von längstens fünf Jahren ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Alle Mitarbeitenden unterliegen einer Meldepflicht bei begründetem Verdacht auf sexualisierte Gewalt oder Verletzung des Abstinenzgebotes. Weil damit teils auch schwierige Einschätzungsfragen verbunden sind, können sich Mitarbeitende zur Einordnung eines Verdachtes fachlich beraten lassen. Die Landeskirche garantiert Betroffenen sexualisierter Gewalt, dass ihnen eine Ansprechstelle zur Verfügung steht und Mitarbeitenden die genannte Melde- und Beratungsstelle.


3. Und was wird sich in den kommenden Monaten und Jahren dadurch dauerhaft verändern bzw. verbessern?

Barbara Roth: Die Mitarbeitenden in den Kirchengemeinden wie an anderen Stellen unserer Landeskirche gewinnen durch die Erarbeitung der Schutzkonzepte und in Schulungen Kompetenz in der Gestaltung von Nähe und Distanz in Beziehungen und erlangen Handlungssicherheit im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Wo Präventionsmaßnahmen die Aufmerksamkeit für sexualisierte Gewalt geschärft haben, steigt das Risiko der Entdeckung. Dies wird potenzielle Täter und Täterinnen abschrecken, in der EKvW sexualisierte Gewalt auszuüben. Das Risiko, sexualisierte Gewalt zu erleben, soll so minimiert und Menschen vor Schaden und Leid bewahrt werden. Sowohl Kirchenmitglieder wie auch die Gesellschaft werden auf sichere Räume in unserer Kirche vertrauen können. Das ist unser Ziel.


4. Bisher hat es in Westfalen keine individuellen materiellen Anerkennungsleistungen gegeben - sondern eine pauschale finanzielle Leistung in Anerkennung erlittenen Leids. Was hat zu dieser Veränderung geführt?

Daniela Fricke: Das Leid, das Betroffene von sexualisierter Gewalt erlitten haben, die womöglich bleibenden gesundheitlichen Folgen können auf keine Weise entschädigt oder gar wieder gut gemacht werden. Das bleibt unsere Überzeugung. Wir haben als Kirche dieses Leid uneingeschränkt anzuerkennen und institutionelle Verantwortung dafür zu übernehmen. Diese drückt sich auch durch eine finanzielle Leistung aus. Bisher taten wir uns schwer, diese individuell, das heißt mit unterschiedlichen Summen, zu beziffern und damit eine unterschiedliche Schwere des erlittenen Leids zu konstatieren. Betroffene müssen aber zu Recht erwarten können, dass überall die gleichen Richtlinien gelten. Darauf haben sich alle Landeskirchen einmütig verständigt. Die Unabhängigen Kommissionen werden nun auf Grundlage von plausiblen Berichten der Betroffenen finanzielle Anerkennungsleistungen zuerkennen, die sich an Schmerzensgeldtabellen orientieren. Für den Bereich der EKvW startet das geänderte Verfahren gemeinsam mit der Lippischen und der Rheinischen Landeskirche sowie der Diakonie RWL Anfang 2021.


5. Wohin oder an wen können sich Betroffene konkret wenden?

Daniela Fricke: Als Beauftragte für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung stehe ich Betroffenen von sexualisierter Gewalt als Ansprechperson zur Verfügung. Da ich ordinierte Pfarrerin bin, kann ich den Betroffenen aufgrund des Seelsorgegeheimnisses auch absolute Verschwiegenheit garantieren. Allem voran geht es mir darum zuzuhören und die Personen mit allem, was sie erzählen wollen und können, ernst zu nehmen. Gemeinsam können wir dann auch sehen, worin angemessene Unterstützung bestehen kann. Viele möchten auch wissen, was es für sie bedeutet, wenn womöglich Verfahren eingeleitet werden müssen. Manche Betroffene wollen aber auch dezidiert nicht mit einer Repräsentantin der Kirche in Kontakt treten, weil ja gerade diese Institution mit für das Leid verantwortlich ist. Um hier ein alternatives Angebot zu schaffen, planen wir, Beratungsgespräche auch durch eine unabhängige Beratungsstelle anzubieten. Für einen Antrag auf finanzielle Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids können sich Betroffene direkt an die Geschäftsstelle der Unabhängigen Kommission wenden.
Alle Kontaktdaten und Links finden sich über unsere Homepage.

 

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