Studie belegt Zusammenhänge zum Wohlbefinden von Pfarrer:innen im Ruhestand
Freiwillige Arbeit tut gut - auch im Alter
Münster. „Mit 66 Jahren ist lange noch nicht Schluss … .“ Was Udo Jürgens einst in einen Schlagertext goss, hat eine aktuelle Studie an der Universität Münster für Menschen im Pfarramt in aller Ernsthaftigkeit verdeutlicht: Auch nach dem Eintritt in den Ruhestand engagieren sich sehr viele von ihnen hochmotiviert in unterschiedlicher Weise. Sie übernehmen freiwillig neue Aufgaben und arbeiten ehrenamtlich. Und diese Arbeit in Freiwilligkeit tut ihnen gut.
Im Rahmen ihrer Masterarbeit im Fachbereich Arbeitspsychologie am Institut für Psychologie der Universität Münster befragte Kathrin Böhlemann 1200 westfälische ‚Emeriti‘ – Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand nach ihren Aktivitäten und ihrem Wohlbefinden nach dem aktiven Dienst. Der Rücklauf betrug fast 38 Prozent, 453 der Befragten beantworteten die Fragen zur Studie. „Das war eine großartige Quote“, freut sich Thomas Groll vom Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung (IAFW) der Evangelischen Kirche von Westfalen. Er ist unter anderem für die Begleitung und Fortbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern im Ruhestand zuständig und hatte die Studie initiiert. Wissenschaftlich begleitet wurde die Arbeit von der Münsteraner Psychologie-Professorin Carmen Binnewies.
Autorin Kathrin Böhlemann berichtet von vielfältigen Reaktionen auf ihre Bitte um Mitwirkung. Das reichte von ausführlichen Erläuterungen und Schilderungen über die Bitte um Entschuldigung für nur spärlich mögliche Auskünfte bis hin zu kleinen handgemalten Bildern, die den Antwortbögen beigefügt wurden. Andere strichen einzelne Fragen einfach durch, die sie nicht für angemessen oder relevant hielten. „Dazu bin ich noch nie gefragt worden“, war eine Reaktion, die Kathrin Böhlemann oft zu hören bekam. Fast immer, so berichtet sie, sei ihr der Eindruck rückgespiegelt worden, durch die Erhebung der Studie wertgeschätzt zu werden.
Nicht alle Aspekte aus den umfangreichen Antworten konnten letztlich in die Masterarbeit einfließen. Näher beleuchtet wurden Aussagen zu Arbeitsbedingungen im Ehrenamt und zu Grundbedürfnissen, auf denen der freiwillige Einsatz basiert. Dazu zählen im Wesentlichen die Komponenten Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit.
Beeindruckend erscheint zunächst, wie viele der emeritierten Pfarrerinnen und Pfarrer sich nach dem Ausscheiden aus dem hauptamtlichen Dienst auf freiwilliger Basis engagieren. 80 Prozent der Teilnehmenden gaben an, im Ruhestand aus freien Stücken für die Evangelischen Kirche aktiv zu sein. Im Durchschnitt verwenden sie 26 Stunden im Monat für ihre ehrenamtliche Tätigkeit. Nach dem Eintritt in den Ruhestand ändert sich aber zunächst in aller Regel das persönliche Umfeld. Damit einher gehen auch neue Betätigungsfelder. Nur selten bleibt eine Pfarrerin oder ein Pfarrer im Ruhestand in der alten Gemeinde und engagiert sich dort. Ein Rollenwechsel wird stets als sinnvoll erachtet, er hilft den Betroffenen selbst, aber auch seinen Nachfolgenden an der alten Wirkungsstätte.
Und meist wird es auch als bereichernd erlebt, nun, nach vielen Jahren im hauptamtlichen Dienst, noch einmal mit Spaß und Elan etwas anderes machen zu können. Das tun die Menschen zwar an neuer Stelle, aber in bekannten kirchlichen Grundbezügen und Denkmustern. Die Einsatzfelder reichen von der Flüchtlingshilfe über den Einsatz in der Ökumene, bis zur Organisation von Festen und Freizeiten, der Seniorenarbeit, Gesprächs- und Literaturkreisen, der Seelsorge und vielem mehr. Oft reizen auch Einsätze im Predigtdienst oder die Gestaltung von Andachten in neuer Atmosphäre.
Die Aufgabenvielfalt ist groß. Damit einher geht aber auch der Bedarf nach Weiterbildung. In neuer Funktion und ehrenamtlichem Engagement brauchen die Emeriti neue Impulse und zusätzliches Knowhow. Wenn das gegeben ist, erleben die Frauen und Männer im Ruhestand noch einmal einen beträchtlichen Schub persönlicher Weiterentwicklung. Sie ist verbunden mit der Freiheit, selbst über die eigenen Ressourcen entscheiden zu können und keinem Karriereziel oder von außen herangetragenen Erwartungen mehr nacheifern zu müssen.
Fassen all diese Bestandteile ineinander und passen zu der jeweiligen Person, dann führt die neue Aktivität zu einer hohen persönlichen Zufriedenheit. Freiwillige, selbstbestimmte Arbeit tut gut und ist gesund. Diese Erkenntnis, die schon in anderen Studien zur Ehrenamtlichkeit nachgewiesen wurde, kann auch Kathrin Böhlemann in ihrer Masterarbeit über emeritierte Pfarrerinnen und Pfarrer eindeutig belegen.
Sie beschreibt aber auch Voraussetzungen, die dafür gegeben sein müssen. Dafür ist einerseits das Engagement, der Wunsch zum persönlichen Einsatz auf Seiten der Emeriti nötig. Andererseits sind aber auch die möglichen Einsatzfelder gefragt. Ehrenamtliche möchten gefordert werden. Wer also vom ehrenamtlichen Engagement profitieren will, der sollte interessante und vielfältige Aufgaben bereitstellen. Und er muss für angemessene Arbeitsbedingungen und entsprechende Begleitung durch Fortbildung und andere Formen der Wertschätzung, sorgen.
Hier, so beschreiben Autorin Kathrin Böhlemann und ihre Professorin Carmen Binnewies, sei ein Paradigmenwechsel im Ehrenamt festzustellen. Nicht mehr allein der altruistische Einsatz des einzelnen stehe im Fokus, sondern auch das Angebot anspruchsvoller Aufgaben und die Förderung durch die Einsatzstellen.
Das führe auch für die Evangelische Kirche und ihre Aufgabenfelder zu Konsequenzen, sagt Thomas Groll vom IAFW. Die Studie aus Münster zeige das immense Potential, das Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand mit ihrer Motivation und ihrer Tatkraft zu freiwilligem, ehrenamtlichem Engagement in die Waagschale würfen. Jetzt seien die Kirche und ihre Einrichtungen herausgefordert, passgenaue Aufgaben, zeitgemäße Strukturen für die freiwillige Mitarbeit und gezielte Fort- und Weiterbildungen anzubieten.