Präses Annette Kurschus zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer
»Europa darf sich nicht erneut und weiterhin schuldig machen«
BIELEFELD - Das Sterben im Mittelmeer hat bisher ungekannte Ausmaße angenommen. Tausende Menschen sind jämmerlich ums Leben gekommen – Menschen, die wie wir leben und glücklich sein wollten. Das Elend hinter jedem einzelnen dieser geschundenen Leben ist unbeschreiblich. Für sie gibt es keine offizielle Trauerfeier.
Wir dürfen uns nicht an diese Katastrophen gewöhnen. Europa – das sind wir. Europa darf sich nicht erneut und weiterhin schuldig machen. Europa darf nicht länger wegsehen, sich nicht länger abschotten.
Flüchtlinge, die von Afrika kommen und bei uns Zuflucht suchen, brauchen legale Reisewege. Nur so kann verbrecherischen Schleppern und Menschenhändlern die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Die gesamteuropäische Politik ist gefordert, offizielle Wege zu schaffen, damit Menschen auf der Flucht unversehrt ihr Ziel erreichen können. Akut ist eine umfassende und wirkungsvolle Seenotrettung notwendig. Deutschland trägt hier eine gewichtige Mitverantwortung. Die Bundesregierung ist gefordert, in Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Ländern sichere Wege über das Mittelmeer einzurichten: humanitäre Korridore, ausgehend von EU-Botschaften in Nordafrika. Mit Hilfe zeitlich begrenzt gültiger Reisedokumente muss für die Asylsuchenden eine legale Überfahrt in Sicherheit gewährleistet werden, damit sie dann ihre Asylanträge in Europa stellen können. Das erfordert neue Wege, die weniger gefährlich sind als »Mare Nostrum« oder »Triton«, das abgebrochene Seenotrettungsprogramm Italiens und das Küstensicherungsprogramm der EU. Der politische Wille zu solchen neuen Wegen ist bisher nicht erkennbar. Aber wenn nichts geschieht, ist der nächste tausendfache Tod nur eine Frage der Zeit.
Die Evangelische Kirche von Westfalen unterstützt das Flüchtlingshilfsprogramm »Mediterranean Hope« des Bundes der Protestantischen Kirchen in Italien. Gemeinsam mit ihnen werden wir als deutsche Kirche baldmöglichst in Brüssel bei den EU-Verantwortlichen persönlich eintreten für die schnelle Umsetzung der »humanitären Korridore«, für eine sichere und legale Überfahrt der Flüchtlinge von Nordafrika nach Europa. In diesem Zusammenhang steht auch eine Politikerreise Anfang Juni nach Sizilien, Lampedusa und Rom. Dort werden wir uns gemeinsam mit Politikern aller Parteien des NRW-Landtages uns vor Ort ein Bild machen. Ziel ist auch, zur Unterstützung der Flüchtlinge neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Parlamentariern in Italien und Deutschland zu finden.