„Ich glaube; hilf meinem Unglauben“: Was für ein Vertrauen steckt in diesem Satz! Wie mag er geklungen haben? Gequält geseufzt? Verzweifelt geschrien? Flehentlich geflüstert? Tonlos geschwiegen? „Ich glaube; hilf meinem Unglauben“: Womöglich ist dies das ehrlichste Gebet der Bibel. Gerichtet an Jesus, in dem sich unser Glaube festmacht. Dem ins Gesicht gesagt, zu dem wir uns bekennen. Was für ein Vertrauen!
Der Vater setzt alles auf eine Karte. Erwartet von Jesus, was ihm bisher niemand geben konnte: Dass sein krankes Kind gesund wird. Jesus ist seine ganze Hoffnung. Und trotzdem – oder gerade deshalb? – macht er aus seinem Herzen keine Mördergrube. Wirft Jesus das Durcheinander, das in seinem Innern tobt, buchstäblich vor die Füße.
Das Schwanken zwischen Verzweifeln und Hoffen, zwischen Angst und Zuversicht, zwischen Aufgeben und Kämpfen. Er verschweigt es nicht. Was für ein Vertrauen!
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“: Wer so seufzt oder schreit, greift nach der Hand, die hält. Wer so flüstert oder bittet, tastet nach dem Grund, der trägt. Wie viele mögen das getan haben im zu Ende gehenden Jahr, immer wieder? Wie viele mögen es tun auf der Schwelle zu einem neuen Jahr?
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben“: Womöglich ist dies das ehrlichste Gebet der Bibel.
Präses Annette Kurschus
Das Jahr, das hinter uns liegt, hatte es in sich. Das höre ich viele sagen. Und bei allen, die es sagen, stecken zuerst persönliche Erfahrungen dahinter. Mir selbst sind schwere Krankheit und Tod im engsten Umfeld von Familie, Freunden und Kollegen bedrängend nah auf den Leib gerückt.
Manche scheinbaren Sicherheiten sind ins Wanken geraten. Wie gefährdet und zerbrechlich unser Leben ist, wie kostbar jeder einzelne Tag: Das ist mir so unmittelbar wie selten unter die Haut gegangen und hat sich tief in mein Lebensgefühl geschlichen. Das gilt auch im Blick auf die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben. Immer mehr beginnt zu bröckeln, was mir bisher selbstverständlich schien:
Anstand und Respekt. Demokratie und Freiheit. Verlässliche Jahreszeiten und gesunde Lebensgrundlagen. Grundvereinbarungen wie Achtung der menschlichen Würde, Schutz der Schwachen, Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit.
Was hindert‘s, dass wir uns vorstellen: Wir treten vor Jesus wie der Vater mit seinem kranken Kind. Stehen da mit allem, was wir aus dem alten Jahr ins neue tragen: Mit dem ganzen Glück und der ganzen Bewahrung. Mit all dem scheinbar Selbstverständlichen, das unser Leben Tag für Tag reich und kostbar macht. Auch mit mancher Traurigkeit, mit allerlei Fragen, mit Wut und Schmerz.
Und wir sagen‘s Jesus mitten ins Gesicht: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“
Vielleicht erschrickt der eine oder die andere, wenn sie sich selbst so reden hören: „Ich glaube!“ Womöglich kostet es Überwindung, den eigenen Unglauben auszusprechen. Und manche werden spüren, was sie nie gedacht hätten: Wie sehr sie dem eigenen Unglauben misstrauen.
Folgt man der Erzählung des Markusevangeliums, dann ist es gerade dieser glaubende Unglaube, dieser ungläubige Glaube, der die sprichwörtlichen Berge versetzt. Weil er sich ganz und gar dem Vertrauen Gottes ausliefert. Weil er sich darauf verlässt, dass die Hand hält und der Grund trägt.
Nun wird im Jahr 2020 von niemandem verlangt sein, Berge zu versetzen. Da wird es Aufgaben geben, die sich auftürmen zum Gebirge; Befürchtungen, die sich aufplustern zum Gespenst; Ungewissheiten, die sich in die Seele fressen wie Geschwüre. Genug, was den Glauben ins Bockshorn jagt. Genug, was dem Unglauben ein gefundenes Fressen ist.
Und da hinein höre ich Jesus sagen, mir mitten ins Gesicht: „Geh los. Dein Glaube wird dir helfen.“ Was für ein Vertrauen!
Annette Kurschus,
Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen
(Mit freundlicher Genehmigung von Unsere Kirche)