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Dialog über Kirche und Demokratie: Präses Annette Kurschus und der Journalist Arnd Henze

„Wir müssen es aushalten, als naiv beschimpft zu werden“

MedienInfo 59/2019
 

Kann Kirche Demokratie? Für Präses Dr. h. c. Annette Kurschus führt die Antwort auf diese provozierende Frage ins Zentrum des christlichen Glaubens: „Christus ist längst solidarisch mit den Menschen und ihren ganz und gar weltlichen Bedürfnissen. Darin ist er der Gesellschaft und auch der Kirche mit ihren Grenzziehungen immer schon voraus.“

Je klarer sich also die Kirche an Christus orientiert, desto überzeugender wird sie der Demokratie entsprechen: „Wir sollen Zeitgenossen sein und werden, weil Christus Zeitgenosse war und ist.“ Die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen war am Dienstagabend (17.9.) auf Einladung des Kirchenkreises Bielefeld in der Süsterkirche im Gespräch mit dem Journalisten Arnd Henze. Dessen neues Buch stellt im Titel eben diese Frage: „Kann Kirche Demokratie?“

Und die Demokratie sieht der Autor einem existenzbedrohenden Angriff ausgesetzt. Längst gelte nicht mehr: „Wehret den Anfängen“. Wehren müsse sich die Demokratie heute gegen die Normalisierung von menschenfeindlichen Bestrebungen und gegen einen perfiden Missbrauch der Geschichte. Henze sprach von einem „strategischen Angriff der Rechten auf die Erinnerungskultur“ und forderte: „Man muss die Geschichte kennen und widersprechen.“ Und die Rolle der Kirche? Sie dürfe sich nicht als „Bollwerk“ gegen den gesellschaftlichen Wandel verschanzen, sondern müsse zu einem Lernort werden, wo man sich für Vielfalt und Pluralität öffnet. „Kirchengemeinden hätten das Potenzial, Menschen ins Gespräch zu bringen und zu einem Forum für Diskussionen im sozialen Nahbereich zu werden“, sagte Henze. Dazu sei es notwendig, hoffnungsvolle Geschichten weiterzuerzählen: „Wir müssen das Gelingende den Verächtern der Demokratie entgegenstellen.“

Präses Kurschus sprach sich für Klarheit in Wort und Tat aus: „Wenn wir die Liebe Gottes erfahrbar machen und uns eindeutig dazu bekennen, dann ist das nicht ausgrenzend.“ Aus falsch verstandener Rücksichtnahme dürfe die Kirche nicht auf ihr Profil verzichten: „Die Hoffnung, aus der wir leben, muss in die Welt, wir dürfen sie ihr nicht vorenthalten.“ Zu dieser Hoffnung passe auch der Plan der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ein Schiff zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer zu organisieren, sagte Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD ist. „Ein Wagnis, gewiss – hier ist der Mut gefragt, trotz vieler Bedenken zu handeln. Und wir müssen es aushalten, als naiv beschimpft zu werden.“ Die Kirche, sagte die Präses selbstkritisch, müsse sensibel bei der Sprache sein und mehr Aufmerksamkeit und neue Nachdenklichkeit walten lassen. „Wir brauchen mehr theologische Sorgfalt und intensivere Diskussionen quer durch sämtliche Ebenen unserer Landeskirche.“ Ob die Kirche „Demokratie kann“, hat für die Theologin viel damit zu tun, ob Kirche den Glauben lebt.

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