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Assistierter Suizid und Freiverantwortlichkeit

Sterben wollen – Leben müssen – Sterben dürfen?

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 bietet viel Stoff für Diskussionen, Analysen und Nachdenklichkeit: Jeder entscheidungsfähige Erwachsene, so die Auffassung des Gerichts, hat grundsätzlich das Recht, freiverantwortlich Suizid zu begehen.

Zur Freiverantwortlichkeit gehöre dabei auch, dass dazu die Hilfe von Dritten in Anspruch genommen werden kann. Wer diese Hilfe anbietet, ist somit rechtlich geschützt. Das war zuvor nicht gewährleistet.
Was aber heißt „freiverantwortlich“ in diesem Zusammenhang? Zum Beispiel sollte geprüft werden, ob der Suizidwunsch wirklich freiverantwortlich entstanden ist, und ob keine krankheitsbedingten Einschränkungen und kein Druck von außen vorliegen.
Auf der dritten gemeinsamen Tagung der Evangelischen Akademie Villigst sowie des Zentrums Seelsorge im Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung der Evangelischen Kirche von Westfalen zum Themenfeld des Assistierten Suizids stand am 30. und 31. Oktober die Frage im Mittelpunkt, was das Recht auf Assistierten Suizid für Menschen mit psychischen Erkrankungen, kognitiven Einschränkungen und beginnender Demenz bedeuten kann.
Die fachlichen Impulse aus juristischer und ethischer, sowie ärztlicher und pflegerischer Perspektive regten die 80 Teilnehmenden der hybrid und in Kooperation mit der Evangelischen Stiftung Volmarstein durchgeführten Tagung zu intensivem Nachdenken und Suchen nach einer persönlichen Haltung zu den komplexen Fragestellungen an.
Es wurde deutlich, dass nicht nur diejenigen, die beruflich in medizinischen oder therapeutischen Feldern arbeiten, mit dem Wunsch nach Assistiertem Suizid konfrontiert werden. Das Thema beschäftigt Menschen auch in Alltagsgesprächen.
Seelsorgende berichten, dass das Thema auch in Begegnungen mit ihnen angesprochen wird. Bestätigt wird dieses durch eine Studie des Zentrums für Gesundheitsethik (ZfG) an der Akademie Loccum. Die Leiterin des Forschungsprojekts, Dr. Dorothee Arnold-Krüger, sagte gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass die Anfragen bei Seelsorge-Personen in den vergangenen Jahren zugenommen haben.

Auch auf der Tagung in Villigst berichteten drei Seelsorger*innen eindrücklich davon. Gespräche, in denen über den Wunsch nach assistiertem Suizid gesprochen wurde, und die Begleitung der Menschen in ihrer Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und dessen Grenzen, stellen auch an hauptamtliche Theolog*innnen besondere Herausforderungen.
In der Loccumer Studie zeigt sich, dass Seelsorgende ihren Grundauftrag, den Menschen zur Seite zur stehen und sie zu begleiten, auch bei dieser Thematik nicht aufgeben. Gleichzeitig sind damit nicht alle ethischen Bedenken aufgehoben.
Der freiverantwortlich handelnde Mensch hat das Recht, das eigene Leben zu beenden. Und er hat das Recht, sich bei diesem Schritt assistieren zu lassen. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gilt es auch in Kirche und Diakonie immer wieder neu zu bedenken, zu diskutieren, und eine Haltung dazu zu entwickeln.
Es gab keine allgemeingültigen Antworten auf der Tagung in Villigst. Die wird es auch nicht geben können. Einig waren sich fast alle am Ende in der Hoffnung, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes dazu führt, dass wir uns für eine Gesellschaft einsetzen, die bereit ist, viel Geld dafür auszugeben, dass das Leben für alle lebenswert ist.

Anja Franke und Helga Wemhöner

 

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