Ehemaliger Verfassungsrichter und Kirchenleitungsmitglied Bertrams hält Kirchenasyl in Härtefällen für legitim
»Beistand für Bedrängte«
Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, hält das Kirchenasyl für Flüchtlinge in Härtefällen für berechtigt.
Die Kirchen seien im Rahmen der grundgesetzlichen Glaubens- und Gewissensfreiheit in Verbindung mit ihrem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht befugt, Kirchenasyl zu gewähren und sie vor einer drohenden Abschiebung zu schützen, schreibt Bertrams im »Kölner Stadt-Anzeiger« (Montagsausgabe). Die Kirchen betrachteten ihr Handeln als Beistand für Bedrängte gegenüber staatlichen Organen.
Kirchenasyl soll neue Gesprächssituation herbeiführen
Ein Widerstandsrecht gegen den Staat leiteten die Kirchen daraus nicht ab, schreibt Bertrams, der seit 2013 Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen ist. Vielmehr würden die Kirchen anerkennen, dass die zuständige Ausländerbehörde gegebenenfalls eine Abschiebung durchsetzen kann. Zwar enthalte die Gewährung von Kirchenasyl einen Rechtsverstoß, erläuterte der Jurist. Denn sie vereitele eine rechtmäßige Abschiebung und damit die Durchsetzung geltenden Rechts. »Das Institut des Kirchenasyls soll aber eine neue Gesprächssituation zwischen dem Staat und den in Obhut genommenen Flüchtlingen herbeiführen, begleitet von der Kirche.«
Fraglich bleibe, wann von einem Härtefall auszugehen ist. Denn bei einer drohenden Abschiebung seien bereits etwaige Gefährdungen des Flüchtlings in seiner Heimat oder im EU-Staat der ersten Einreise geprüft und verneint worden, schreibt Bertrams. »Entscheidend für die Gewährung von Kirchenasyl kann vor diesem Hintergrund nur sein, dass eine entsprechende Prüfung auf staatlicher Ebene unterblieben oder unzureichend gewesen ist und die Kirchen in der Lage sind, neue, bislang nicht geprüfte Gefährdungsaspekte vorzutragen.«
Kein »heimlicher Unterschlupf«
Der ehemalige Verfassungsrichter erinnerte daran, dass im Streit über das Kirchenasyl evangelische und katholische Kirche 2015 mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vereinbart hatten, dass der Staat in Härtefällen nicht eingreift und akzeptiert, die Abschiebung noch einmal juristisch überprüfen zu lassen. Im Gegenzug seien die Kirchengemeinden als Asylgeber verpflichtet, jeden Einzelfall zu melden und das Kirchenasyl bei einem negativen Ergebnis der erneuten Überprüfung zu beenden. »Die Gemeinden sollen Flüchtlingen also nicht heimlich Unterschlupf gewähren.«
In der großen Mehrzahl aller Fälle von Kirchenasyl sei den Kirchen dies gelungen. »Die Vereinbarung von 2015 hat sich bewährt«, betonte Bertrams.
In NRW gab es den Angaben nach Ende August 2017 etwa 100 Fälle von Kirchenasyl, davon mehr als 60 bei der Evangelischen Kirche im Rheinland. In der Mehrzahl geht es um Abschiebungen in das Land der ersten Einreise nach Europa, etwa nach Griechenland, Italien, Bulgarien oder Ungarn. (epd)