Jahreslosung 2016:
Wie eine Mutter
Präses Annette Kurschus zur Jahreslosung 2016

»Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.«

Es ist Taufgottesdienst. Ganz vorne sitzt die Tauf-Familie mit dem Säugling auf dem Schoß der Mutter. Während der Predigt wird das Kind unruhig. Etwas scheint es zu quälen, es strampelt, quengelt, rudert mit den Armen, fängt an zu weinen.

Leise erst, dann immer lauter. Schließlich schreit es aggressiv. Die Eltern versuchen zu beruhigen. Die Mutter wiegt und streichelt das Kind, sie flüstert zärtlich; der Vater schneidet Grimassen, macht Faxen – vergeblich. Ein Schnuller soll helfen, doch der wird wieder ausgespuckt; das Kind schreit umso lauter weiter. Da greift die Mutter zum einzigen Mittel, das noch bleibt: Sie knöpft ihre Bluse auf und stillt das Kind an ihrer Brust.

Da trinkt es sich satt, grunzt selig, wird ruhig und zufrieden. Was eben quälte, mag noch da sein, aber es hat seine beherrschende Macht verloren.

Diese Szene kommt mir in den Sinn, wenn die Jahreslosung vom Trost spricht. Trost hat im wahrsten Sinne des Wortes mit Stillen zu tun.

Und Stillen ist mehr als beruhigen. Es stillt Hunger und Durst, es macht satt an Leib und Seele.

Trost als Muttermilch Gottes: Was für ein schönes Bild! Solcher Trost hilft zum Leben, nährt, schenkt Geborgenheit, macht – wie man so sagt – groß und stark.

In der Tradition des Siegerlandes, wo ich aufwuchs, ist die Frage nach Trost tief verwurzelt. Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? heißt die erste Frage des Heidelberger Katechismus.

Ganze Konfirmanden-Generationen haben sie aus- und inwendig gelernt und mit sich durchs Leben getragen. Bis heute.

Die Frage hat es in sich. Sie reicht bis auf den tiefsten Grund des Lebens. Sie fragt danach, was auch dort noch trägt, wohin die eigenen Kräfte nicht reichen.

Die Frage stellt sich an den Rändern und in den Tälern des Lebens. Sie mag sich in besonderer Weise auch »zwischen den Jahren« stellen. Wenn der Blick zurückwandert auf das, was war – und wenn er vorauseilt in die sprichwörtlich ungewisse Zukunft.

Was tröstet und nährt? Was stillt und stärkt?

Ich war erst ganz kurz in meiner ersten Gemeinde, da schickte mich die Gemeindeschwester zu einer alten Dame, die dringend auf Besuch warte. Es gehe ihr sehr schlecht – Magenkrebs im Endstadium. Befangen und unsicher machte ich mich auf den Weg. Wie sollte ich – jung und unerfahren in solchen Situationen – diese vom Tode gezeichnete Frau trösten?

Sie lag an unzählige Schläuche angeschlossen, wurde durch die Nase ernährt, konnte nur mühsam sprechen. Über ihrem Bett hingen Bilder aus besseren Zeiten: Ihr Mann und ihre große Familie. Inmitten der Fotos die Konfirmationsurkunde mit Frage 1 des Heidelberger Katechismus: Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.

Meine Begrüßung fiel ungeschickt aus. Ich erinnere mich, wie verlegen ich war. Und ich erinnere mich an den gütigen Blick aus den wachen Augen der todkranken Frau. Mit ihrer ausgemergelten Hand zeigte sie in die Höhe: »Frau Pastorin, ohne den da oben könnte ich das hier nicht aushalten. Aber ich weiß: Der bleibt bei mir.«

Das vergesse ich nie. Am Ende ging ich getröstet wieder weg; die Frau hatte mir von ihrem Trost weitergegeben. Und ich spürte: Das ist ein Trost, der selbst dem Tod etwas entgegenzusetzen hat.

Die »Muttermilch Gottes«: Der Trost dessen, der unsere Tage teilt, der unsere Zeiten zärtlich mit seiner Ewigkeit umgreift und zu uns sagt: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

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Die Jahreslosungen

Die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) wählt aus dem von ihr erstellten ökumenischen Bibelleseplan des jeweiligen Jahres ein Bibelwort als Jahreslosung aus.
Die Losung wird immer drei Jahre im Voraus bestimmt. Die erste Losung wurde 1930 ausgewählt.

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